1. Mai 2011

Kanzelrede 1. Mai 2011

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gemeindemitglieder,

wir sind hier heute am 1. Mai des Jahres 2011 zusammengekommen, um am Tag der Arbeit einen Gottesdienst gemeinsam zu feiern. Der 1. Mai ist zwar kein christlicher Feiertag, sondern historisch gesehen, einer der wichtigsten politischen Feiertage. Im Allgemeinen wird dieser Feiertag als Tag der Arbeit oder als Tag der Arbeiterbewegung verstanden.

Dennoch lassen sich bei näherem Hinsehen auch in der Bibel Hinweise auf den Tag der Arbeit finden, denn es ist in der katholischen Kirche der Tag Josephs, des Arbeiters. Bei Matthäus findet man im Kapitel 20 das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, das wir eben gehört haben. Darin wird das Himmelreich mit einem Hausherrn verglichen, der Arbeiter für einen Silbergroschen Tagelohn einstellt, damit sie seinen Weinberg bestellen. Später trifft er auf dem Markt eine Gruppe Männer und stellt auch diese ein, noch später weitere Gruppen.

Überraschend zahlt er am Ende des Tages auch den zuletzt Eingestellten, die nur eine Stunde gearbeitet haben, einen Silbergroschen. Die Arbeiter, die den ganzen Tag gearbeitet haben, beschweren sich darüber beim Hausherrn. Der Hausherr weist die Kritik aber zurück, indem er die verärgerten Arbeiter daran erinnert, dass sie mit ihm doch zuvor über die Bezahlung eines Silbergroschen übereingekommen waren und dass er zudem mit seinem Geld umgehen könne, wie es ihm beliebt.

Es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, dass dieses Gleichnis für uns beim ersten Eindruck kaum zu verstehen ist und uns eine ganze Menge zumutet. Sieht so Gottes Gerechtigkeit aus? Der eine Arbeiter fängt früh am Morgen an und schuftet den ganzen Tag während der andere erst kurz vor Feierabend angeheuert wird; dennoch bekommen beide den gleichen Lohn! Versuchen wir uns einmal vorzustellen, wie es in unserer Gesellschaft und vor allem in der Arbeitswelt zugehen würde, wenn wir diese Maßstäbe in die Praxis umsetzen würden:

Immer mehr Angestellte würden ausschlafen, sich einen schönen Tag machen und erst kurz vor Arbeitsende die Firma aufsuchen, die Unternehmen müssten demnach dauerhaft das volle Gehalt für nicht erbrachte Arbeitsleistung zahlen und der Konkurs wäre vorprogrammiert. Uns dürfte also schnell bewusst werden, dass diese Art der Arbeitsentlohnung nicht lange funktionieren würde. Davon abgesehen widerspricht eine derartige Gleichbehandlung völlig unseren Vorstellungen von leistungsorientierter Bezahlung.

Nun sind Gleichnisse zu interpretieren, sie sind auszulegen, will man sie richtig verstehen. Sozialgeschichtlich gibt der Weinbergbesitzer allen Arbeitern genau den Lohn, der in damaliger Zeit notwendig war, um eine Familie einen Tag lang ernähren zu können. Da das Gleichnis mit einer Anrede der Zuhörer in Du-Form endet, ist es dahingehend auszulegen, dass Jesus seine Zuhörer ermutigen will, in entsprechender Weise zu handeln: nämlich jedem das Überleben zu ermöglichen.

Im Alten Testament steht der Weinberg häufig für das Volk Israel. Dem entsprechend stünde im Gleichnis der Weinberg für die ganze Welt, die bearbeitet wird für das endgültige Kommen des Reichs Gottes. Die Kirche umfasst dann alle die, die daran mitarbeiten, egal, wann sie damit anfangen. Der Weinbergbesitzer könnte auch für Gott stehen und die Arbeiter sind Gottes Kinder. Sie finden zu unterschiedlichen Zeiten zum Glauben, aber trotzdem wird ihnen allen die gleiche Liebe Gottes zuteil.

Die ersten Arbeiter stehen für die Heuchler.

Sie besitzen keinen wirklichen Glauben, sie sind neidisch und ungerecht gegenüber den Mitmenschen, sie dienen dem Geld und nicht der Nächstenliebe, sie erheben sich über die Vereinbarung mit dem Herrn, sie bekommen genug und genauso viel und sind doch unzufrieden, sie wollen mehr Gerechtigkeit und sind doch ungerecht. Gott wendet sich den Zuspätgekommenen, den Sündern zu. Die zuerst da waren, die Frommen, brauchen aber deshalb keine Angst zu haben, dass ihnen etwas genommen wird, denn sie bekommen den vereinbarten Lohn.

Nun will ich die Interpretation dieses Gleichnisses nicht überstrapazieren, das überlasse ich lieber den Theologen und unserem Pastor Frieder Marahrens. Der versteht davon nämlich mehr als ich.

Interessant ist das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg aber trotzdem auch im Zusammenhang mit dem 1. Mai. Zur damaligen Zeit war es nämlich üblich, dass sich Weinbergbesitzer auf dem Markt Tagelöhner mieten und die Arbeitssuchenden auf dem Markt auf Aufträge warten. Damals wie heute müssen Arbeitnehmer also ihre Arbeitskraft zu Markte tragen. Der Bedarf an Tagelöhnern wurde oft erst kalkuliert, wenn bestimmte Stadien des Erntevorgangs überschaubar wurden. Heute würde man von Praktiken der Leiharbeitsverhältnisse sprechen. Diese sind für die betroffenen Leiharbeitnehmer ähnlich unplanbar, wie die Arbeitsverhältnisse für die Weinarbeiter damals.

Und schließlich dauerte die Arbeitszeit damals vom Aufgehen der Sonne bis zum Aufgehen der Sterne, Tag und Nacht teilte man je in zwölf Stunden. Zentrale Forderungen des Tags der Arbeit waren von Anfang an, die Einführung des 8 Stunden Tags, eine Arbeiterschutzgesetzgebung und gleicher Lohn für Männer und Frauen.

Wie Sie sehen, gibt es durchaus Parallelen zu den historischen Verhältnissen, die im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg beschrieben werden.

Mich persönlich stört an dem Gleichnis allerdings am meisten die Selbstherrlichkeit des Gutsbesitzers, wenn er ausführt, dass er mit seinem Geld umgehen könne, wie es ihm beliebt. Genau dieser Umgang mit der Macht der Arbeitgeber hat 1889 zur Forderung nach dem Tag der Arbeit geführt und auch noch heute sind die Rechte von Arbeitnehmern und Unternehmern ungleich verteilt.

Wir leben heute in unruhigen Zeiten: Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe in Japan, Aufstände gegen Unterdrücker-Regime in arabischen Staaten. Die anhaltende Spekulation auf den Rohstoff- und Kreditmärkten, Angriffe auf soziale Errungenschaften und gewerkschaftliche Rechte im Windschatten der Eurokrise bedrohen die Existenzgrundlagen der Arbeitnehmerschaft und der sozial Schwachen. In Teilen der Wirtschaft konnte die Krise dank des Einsatzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemildert werden – der Respekt dafür ist bis heute ausgeblieben.

Im Gegenteil! Bundesregierung und Arbeitgeber weiten Niedriglöhne, befristete Jobs und unsichere Arbeit immer weiter aus. Equal pay in der Leiharbeit und einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn lehnen sie im Gegensatz zum Weinbergbesitzer zu Jesu Zeiten ab. Aus der solidarischen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme haben sich die Arbeitgeber verabschiedet, nachdem ihnen der Gesetzgeber die Türen geöffnet hat. Deutschland ist in eine soziale Schieflage geraten.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Nicht wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, sondern Spekulanten, Manager und Banker. Die Finanzmärkte müssen wirksam reguliert werden und die Reichen und Vermögenden müssen endlich ihren Beitrag zur Bekämpfung der Krisenfolgen und für unseren Sozialstaat leisten. Denn bekanntlich hat auch Jesus die Auffassung vertreten, dass „eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“

Für viele Menschen in Mitteleuropa ist die eigentliche Bedeutung des 1. Mai als Tag der Arbeit jedoch in einer Zeit des Wohlstandes und der vermeintlichen Sicherheit in den Hintergrund getreten. Viele Menschen gehen am 1. Mai nicht in die Kirche oder zur Mai Demonstration des DGB, sondern sie sehen in dem Maifeiertag eine Bereicherung ihres Freizeitlebens, nicht umsonst boomen die Maifeiern und Maispaziergänge unter freiem Himmel angereichert durch zahlreiche Alkoholika im mitgeführten Bollerwagen.

Nun will ich hier keine Schelte derjenigen betreiben, die die politische Bedeutung des Tags der Arbeit aus meiner Sicht falsch einschätzen und sich immer mehr ins Privatleben zurückziehen.

Aber Sorge bereitet mir schon, eine gesellschaftliche Entwicklung in diesem Land, die man mit dem Rückzug des Einzelnen ins Private oder auch Flucht aus der Verantwortung für die Gemeinschaft aller Bürgrinnen und Bürger beschreiben könnte. Schon gibt es erste Stimmen die laut werden und die Abschaffung der Feiertage etwa wie den des Tags der Arbeit oder wie jüngst erst wieder in der NOZ nachzulesen war, die Abschaffung bspw. des Karfreitags als christlichen Feiertag einfordern.

Hier muss immer wieder die gleiche Begründung herhalten, der Tag der Arbeit sei nicht mehr zeitgemäß, die Leute gehen lieber feiern, als auf die Maidemo des DGB oder wer lebt schon nach den christlichen Werten, die etwa das Tanzverbot am Karfreitag rechtfertigen würden.

Ich möchte dem massiv widersprechen.

Ich glaube wir brauchen nach wie vor Feiertage wie den Tag der Arbeit oder den Karfreitag, weil es die wenigen Tage sind, wo wir alle einmal innehalten und über unsere Wertvorstellungen nachdenken können. Und bezogen auf den 1. Mai natürlich auch berechtigte Arbeitnehmerinteressen nach draußen bekunden sollen.

Ich möchte jedenfalls in keiner Gesellschaft leben, in der es nur um das Privatinteresse des Einzelnen geht und das persönliche Wohl davon abhängt, ob man auch genug Spass und Parties hat.

Die Freizeit- und Spassgesellschaft hat zwar auch ihre Berechtigung, ich bin allerdings auch davon überzeugt, dass es Tage wie den 1. Mai oder den Karfreitag auch in Zukunft geben muss, um nach den beschriebenen gewerkschaftlichen bzw. christlichen Wertvorstellungen zu leben.

Was ist das für eine Gesellschaft, in der es nicht an wenigen Tagen im Jahr möglich ist, nachzudenken, innezuhalten, zur Ruhe zu kommen. Ist unsere Spaßgesellschaft schon so weit fortgeschritten, dass wenige Tage der Ruhe schon zu Entzugserscheinungen führen? Wenn ein Wirt in Frankfurt sich im Land der Taliban wähnt, weil er an Karfreitag keine Tanzveranstaltungen durchführen darf, kann ich das nur noch als Provokation empfinden. Und wenn der Landeschef der Grünen in Nordrhein Westfalen, Sven Lehmann, fordert, die stillen Feiertage abzuschaffen, weil sie angeblich nicht mehr in unsere Gesellschaft passen, aber nicht bereit ist, das Feiertagsgesetz entsprechend zu ändern, dann ist das blanker Populismus.

Ich finde der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat völlig Recht, wenn er sagt: „Wer die Aufhebung der besonderen Feiertagsruhe am Karfreitag propagiert, fordert nichts anderes als mehr Werktage“.
Feiertage sind im Übrigen auch Tage, wo die gesamte Gesellschaft an ein und demselben Tag frei hat und auch die Gemeinsamkeiten und gemeinsamen Zielvorstellungen einmal gelebt werden können. Eine Gesellschaft wo der Trend zur Sonntagsarbeit immer mehr zunimmt und das gemeinsame Familienleben oder auch die gemeinsamen Treffen im Freundeskreis oder auch ehrenamtliche Tätigkeit in Vereinen oder Verbänden nicht mehr möglich sind oder zunehmend schwieriger werden, weil sie auf dem Altar einer scheinbaren Liberalisierung bspw. des Ladenschlussgesetzes geopfert worden sind, in einer solchen Gesellschaft wird der Platz für den Gemeinsinn immer enger und dagegen sollten wir uns alle zur Wehr setzen.
Ich kann jedenfalls keinen gesellschaftlichen Wert darin erkennen an einem Samstagabend gegen 22.00 Uhr noch durch die Regalreihen meines Supermarktes zu schlendern, wenn der Preis dafür ist, dass immer mehr Arbeitnehmer Probleme haben, einen gemeinsamen Termin zu finden, weil immer irgendjemand gerade arbeiten muss.

Übrigens besondere Instinktlosigkeit bewies in diesem Zusammenhang die Lingener Stadtverwaltung. Die haben dort heute am 1. Mai doch tatsächlich einen verkaufsoffenen Sonntag genehmigt. Der besondere Stellenwert des Sonntags als Ruhe- und Feiertag wird im katholischen Lingen demnach nicht mehr gesehen. Nur durch eine Klage der Gewerkschaft VERDI konnte durch eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichst erreicht werden, dass der 1. Mai für die Beschäftigten des Lingener Einzelhandels und deren Familien ein Feiertag bleibt. Eine fatale Fehlentwicklung wie ich meine.

Leider hat es derartige Fehlentwicklungen in der Vergangenheit auch schon in Osnabrück gegeben. Nach der Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes sind für die Genehmigung von Ladenöffnungszeiten am Sonntag nicht mehr wie früher die gewählten Ratsmitglieder zuständig, sondern die Verwaltung entscheidet alleine ohne die Politik nach den Regeln des Ladenöffnungsgesetzes.

Ich kann mich noch sehr gut an die Zeiten erinnern, als wir Ratsmitglieder im Verwaltungsausschuss diese Dinge beraten und nur in ganz engen Grenzen Ausnahmen zugelassen haben. Das Ergebnis der Liberalisierung heute, sehen Sie an den auch am Sonntag geöffneten Bau- und Blumenmärkte, wo dann die Blumen, die am Sonntag verkauft werden dürfen, durch rot-weiße Flatterbänder von den übrigen Waren, die am Sonntag nicht verkauft werden dürfen, notdürftig getrennt werden. Ein für alle unhaltbarer Zustand aus meiner Sicht.

Ich hatte letztens übrigens Gelegenheit mit Vertretern der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) zu sprechen. Der KAB sind insbesondere die Sonntagsöffnungszeiten von Blumenmärkten wie dem Gartencenter Münsterland u. a. ein Dorn im Auge und haben bereits gegen verlängerte Ladenöffnungszeiten geklagt. Mit eingeschränktem Erfolg. Lediglich die Sortimente mussten eingeschränkt werden, aber grds. können derartige Märkte am Sonntag 3 Stunden öffnen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist der Druck den die Wirtschaft nun auf den KAB ausübt, doch endlich Ruhe zu geben. Sollte der KAB weiter klagen, drohten die entsprechenden Betriebe gegen die KAB zu Felde zu ziehen und diese für ihr Engagement gegen Sonntagsöffnungszeiten öffentlich an den Pranger zu stellen, in dem die Mitglieder der KAB aufgefordert werden auszutreten, wegen Betätigungen der KAB, die sich angeblich gegen die Interessen ihrer Mitglieder richten. Mir fehlen die Worte, aber das Vorgehen der entsprechenden Betriebe spricht doch für sich.

Ich glaube, um zum eigentlichen Thema zurück zu kommen, dass Feiertage auch in Zukunft notwendig sind, um auch einmal in der Gemeinschaft etwas zu unternehmen oder über gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und Wertvorstellungen, seien es gewerkschaftliche oder christliche oder beides, zu diskutieren. Zu solchen Tagen zählt der Sonntag für mich generell, der 1. Mai und auch der Karfreitag.

In diesem Sinne möchte ich schließen, mit der alten Gewerkschaftsforderung vom 1. Mai 1956, als der DGB flächendeckend plakatierte: Samstags gehört Vati mir!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.