15. Juni 2016
Festansprache zur Abschlussfeier der Abschlussklassen an der BBS Pottgraben
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Korswird, sehr geehrter Herr Schröder, liebe Schülerinnen und Schüler des diesjährigen Abschlussjahrgangs, meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich darf mich zunächst für die Einladung zur heutigen Entlassungsfeier bedanken und für die große Ehre, die mir zuteil wurde, heute die Festansprache halten zu dürfen.
Die Schülerinnen und Schüler der Fachoberschule Wirtschaft und Verwaltung sowie Gesundheit und Soziales und der Berufsoberschule Wirtschaft werden heute feierlich entlassen. Ich möchte Ihnen allen ganz herzlich zur Erlangung der Hochschulreife gratulieren. Sie sind einen langen und engagierten Weg mit vielen Prüfungen gegangen und habe es nun geschafft.
Ab heute beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt für Sie. Wie ich hörte wird ein großer Teil von Ihnen die Ausbildung mit einem Studium an einer Hochschule oder Universität fortsetzen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei.
In diesem Zusammenhang möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Osnabrück ein sehr attraktiver Universitäts- und Hochschulstandort mit rund 25.000 Studierenden ist. Vielleicht überlegt sich ja der eine oder die andere auch, Osnabrück als Studienort auszuwählen und hier vor Ort zu bleiben. Schließlich hat Osnabrück ein elementares Interesse daran, engagierte junge Fachkräfte hier vor Ort zu halten. Soweit der Werbeblock für Osnabrück!
Ich wurde gebeten, einen Festvortrag zum Thema „Die sich verändernde Gesellschaft – zu den Herausforderungen für junge Menschen heute“ zu halten – aber möglichst nicht länger als 15 Minuten. Das ist nun die Herausforderung für mich. In 15 Minuten über die Chancen und Risiken der Jungen Generation zu sprechen. Ich möchte mich deshalb auf einige wenige Punkte beschränken.
„Deutschlands brave Jugend“, titelte der Spiegel im April 2016 und stellte die neue Sinus-Jugendstudie vor. Alle vier Jahre untersuchen Wissenschaftler, wie junge Menschen in Deutschland ticken.
Ergebnis: Provokante Subkulturen gibt es kaum noch. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wollen sein „wie alle“. Am Anfang der großen Jugendkulturen standen fast immer Provokation und das Bedürfnis, sich von den Eltern abzugrenzen. Die Jugend im Jahr 2016 tickt da anders.
Eine Mehrheit der Jugendlichen ist sich einig, dass gerade in der heutigen Zeit ein gemeinsamer Wertekanon von Freiheit, Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss, weil nur er das ‚gute Leben‘, das man in diesem Land hat, garantieren kann.
Ein überraschendes Kennzeichen für diesen Befund: „Mainstream“ sei bei den meisten Jugendlichen kein Schimpfwort mehr. Im Gegenteil: Das Wort sei „ein Schlüsselbegriff im Selbstverständnis und bei der Selbstbeschreibung.“
Darin erkennen die Forscher vom Sinus-Institut eine „Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiert sein, Geborgenheit, Halt.“
Die Jugendlichen sind anpassungsbereit und akzeptieren Leistungsnormen und Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit und Disziplin.
Das ist für mich, der in den 60er-Jahren geboren wurde und quasi die Revolutionsgene der Alt-68er in der Muttermilch aufgesogen hat, eine überraschende Erkenntnis bzw. ein überraschender Wertewandel.
Leistungsbereitschaft, Pünktlichkeit und Disziplin, Werte die Oskar Lafontaine als Sekundärtugenden abkanzelte, sind also heute wieder hoch im Kurs.
Interessanter Befund. Würde mich mal interessieren, ob Sie das genauso sehen wie die Macher der Sinusstudie?
Die 17. Shell-Studie vom Oktober 2015 kommt erfreulicherweise gleichzeitig zu dem Ergebnis, dass deutsche Jugendliche die Null-Bock-Phase überwunden haben.
Von wegen Ego-Taktiker: Deutsche Jugendliche interessieren sich so sehr für Politik wie seit fast 20 Jahren nicht mehr. Wie die neue Shell-Jugendstudie zeigt, wollen sie die Welt mitgestalten.
Sie sei desinteressiert, unideologisch, bestenfalls pragmatisch. Mit solchen wenig schmeichelhaften Etiketten haben Forscher die deutsche Jugend jahrelang versehen. Sie beklagten den schwindenden Willen junger Menschen, sich mit Politik zu befassen – der Spaß und der persönliche Erfolg gingen vor.
Junge Deutsche seien „Ego-Taktiker“, befanden die Macher der Shell-Jugendstudie noch im Jahr 2002. Sie interessiere nur, was ihnen selbst nutze.
Doch nun zeichnet sich ein Wandel ab: „Die junge Generation befindet sich im Aufbruch“, sagte kürzlich Mathias Albert von der Universität Bielefeld, der die Erstellung der Shell-Studie leitet. Immer mehr Jugendliche entdeckten ihr Interesse für das Weltgeschehen. So gab fast die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen an, sich für Politik zu interessieren. Seit 2002 steigt dieser Anteil stetig.
Das können Sie sicher bestätigen, oder? Können wir ja gleich bei einem Glas Sekt nach meiner Rede mal drüber diskutieren.
So engagiert wie zu Zeiten des Mauerfalls und der Wiedervereinigung ist die Jugend zwar noch nicht. Anfang der 90er-Jahre gaben 57 Prozent der jungen Menschen an, politisch interessiert zu sein. Doch in den zehn Jahren danach hatten sich Jugendliche mehr und mehr in ihre privaten Welten zurückgezogen. Dieser Trend scheint nun aufgehalten, ja sogar umgekehrt.
Die Flüchtlingskrise ist eins der politischen Themen, die Jugendliche derzeit besonders umtreibt. Ihre Einstellung ist dabei gelassen bis positiv. Obwohl deutlich mehr Menschen aus Krisengebieten zu uns flüchten als in den vergangenen Jahren, findet nur gut jeder dritte Jugendliche, dass Deutschland die Zuwanderung drosseln sollte. 2006 vertraten diese Meinung noch fast sechs von zehn Jugendlichen.
Die etablierten Parteien profitieren allerdings nicht vom wachsenden Politikinteresse: Nur vier Prozent der 12- bis 25-Jährigen haben sich bereits in politischen Gruppen oder Parteien engagiert. Ihnen bringen Jugendliche – wie schon in den vergangenen Jahren – nur wenig Vertrauen entgegen. Parteien schneiden hierbei genauso schlecht ab wie die Banken. Die Jugend verlässt sich eher auf die Polizei, Richter, Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen.
Immerhin: Mit der Demokratie, wie sie in Deutschland praktiziert wird, sind die meisten jungen Menschen zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Der Anteil sei in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, schreiben die Studienmacher. Allerdings klaffe immer noch eine Lücke zwischen der Wahrnehmung im Osten und im Westen.
Krieg in Syrien und in der Ukraine: Die Schlagzeilen der vergangenen Monate und Jahre berühren junge Menschen offenbar sehr – und verunsichern sie. 73 Prozent gaben an, Angst vor einem Terroranschlag zu haben. 62 Prozent fürchten sich vor einem möglichen Krieg in Europa.
Im Jahr 2002 machten diese beiden Dinge noch weniger Jugendlichen Angst, obwohl damals der Krieg im ehemaligen Jugoslawien und die Anschläge aufs World Trade Center noch nicht lang zurücklagen.
Die Studie deckt auch andere Themen ab, von persönlichen Dingen wie Familie, Freundschaft und Religion über Freizeitgestaltung und Internetnutzung.
Hier sind weitere Ergebnisse im Überblick:
- Sechs von zehn Jugendlichen blicken optimistisch in die eigene Zukunft. Das sind mehr als 2006: Damals war nur jeder Zweite zuversichtlich, was die eigene Zukunft betraf.
- Erstmals seit den 90er-Jahren beurteilt eine Mehrheit der Jugendlichen (52 Prozent) auch die gesellschaftliche Zukunft optimistisch.
- Fast alle Jugendlichen, nämlich 95 Prozent, wünschen sich einen sicheren Arbeitsplatz. Das Gefühl, im Beruf etwas zu leisten, ist nur für gut die Hälfte der Befragten wichtig. Auch ein hohes Einkommen und der Kontakt zu anderen Menschen spielen bei der beruflichen Zufriedenheit eine kleinere Rolle.
- Das Internet nutzen zwar praktisch alle Jugendlichen, sie sehen es aber trotzdem kritisch. Mehr als vier Fünftel der Jugendlichen glauben, dass große Konzerne wie Facebook oder Google mit den Nutzern und ihren Daten viel Geld verdienen wollen. Fast drei Viertel gaben an, mit ihren eigenen Daten im Internet vorsichtig umzugehen.
Lassen Sie mich, wenn es um die Herausforderungen für jungen Menschen heute geht, noch einmal einen tieferen Blick auf das Thema Digitalisierung werfen. Kaum ein Thema hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahren so verändert und wird sie weiter verändern.
Die Macher der Sinus-Jugendstudie haben erkannt, dass die Digitalisierung ein wesentlicher Treiber des aktuellen Wertewandels und sozialer Transformationsprozesse ist. Gerade aufgrund des hohen Entwicklungstempos technischer Neuerungen und der Konsequenzen für zentrale gesellschaftliche Bereiche sind die Auswirkungen umfassend und betreffen fast alle Facetten unserer Lebens- und Arbeitswelt. Auch aus dem Alltag junger Menschen sind digitale Medien heute nicht mehr wegzudenken.
Sie nutzen nicht nur diverse Angebote und Services – sie leben online. Und glauben Sie mir, als Vater einer 12-jährigen Tochter weiß ich da, wovon ich rede. Ich saß letztens im Wohnzimmer und bekam aus dem Schlafzimmer meiner Tochter im Obergeschoss eine WhatsApp-Nachricht: „Papa kannst jetzt hochkommen, gute Nacht sagen!“ Da staunt man nicht schlecht.
Dass Jugendliche medial umfassend ausgestattet sind, ist keine neue Erkenntnis. Seit Jahrzehnten stehen elektronische Geräte auf den Wunschlisten von Jugendlichen ganz oben, und das persönliche Geräteportfolio hat sich kontinuierlich erweitert. War es in den 1980ern noch eine kleine Sensation, endlich den eigenen Röhrenfernseher oder gar ein eigenes Telefon im Zimmer zu haben, ist heute ein Leben ohne Smartphone für viele kaum denkbar.
Das Handy bzw. das Smartphone ist das wichtigste technische Gerät für Jugendliche. Während der Fernseher bei Jugendlichen eher an die Peripherie der häuslichen Mediengalaxie gerückt ist, – zwar wichtig, aber im Hintergrund – steht das Handy, das fast alle mittlerweile in der Smartphone-Variante besitzen, unangefochten an der Spitze der wichtigsten Dinge im Leben.
Halb verständnislos, halb bewundernd bekunden 14- bis 17-Jährige noch nicht einmal zehn Jahre nachdem Smartphones auf dem deutschen Markt Einzug erhalten haben, wie schwierig es doch „damals“ sein musste, die Tätigkeiten des Alltags ohne mobile, internetfähige Geräte zu bewältigen.
Längst sind Smartphones selbstverständliche Begleiter für alle Lebenslagen geworden. Gerade die „Alles-in-Einem“-Funktion wird von den Jugendlichen hervorgehoben. Für sie ist das Handy Infozentrale, Navi, Unterhaltungsmedium und – vor allem – Kommunikationsstandleitung zu den Freunden. Gerade die Integration diverser Funktionen macht das Smartphone nicht nur unentbehrlich, man hat vielmehr eine persönliche Beziehung mit emotionalen Qualitäten zu ihm aufgebaut. Jugendliche betonen, dass ihr Leben durch das Smartphone entspannter sei, da sie sich schneller auf den neuen Stand bringen könnten. Zudem fühlen sie sich mit dem Handy sicherer, wenn sie allein unterwegs sind.
Ist das tatsächlich so? Auch dazu würde mich Ihre Meinung als junge Generation interessieren.
WhatsApp, Instagram & Co. sind unverzichtbare Infrastruktur für soziale Teilhabe. Zentrale Funktion digitaler Medien ist für Jugendliche die Pflege und Aufrechterhaltung von Freundschaften. Entgegen weitläufiger Meinungen, dass Medien zu einer Verarmung der sozialen Beziehungen führen, haben Jugendliche selbst eher das Gefühl, ohne Medien sozial zu verarmen.
Unter anderem werden die für Jugendlichen wichtigen Foto- und Videoplattformen zu Online-Gemeinschaften (z. B. YouTube, Instagram) und die bekanntesten User unter ihnen zu Stars.
Die andere Seite der Medaille ist, dass es vielen schwerfällt, sich – digital – voneinander zu trennen. Wenn sich keiner mehr ausloggt, Apps schließt oder das Gerät ausschaltet, bleibt man dauerhaft verbunden und ist in permanenter Kommunikationsbereitschaft.
Die Angst, etwas zu verpassen, ist empirische Realität bei Jugendlichen in Deutschland.
Allerdings haben sich auch hier bereits einige Verhaltens-Kodizes gebildet: So gelten direkte Anrufe mittlerweile als verpönt, da man nicht weiß, ob man jemanden gerade stört. Texten hingegen geht immer und ist entweder Ankündigung eines Telefonats oder – weit häufiger – die alleinige Form sich auszutauschen oder zu verabreden.
Medienkompetenz erwerben Jugendliche „by doing“. Mit digitalen Medien umgehen zu können ist für Jugendliche kein bewusster Lernprozess, sondern ein kontinuierliches Hineinwachsen und Ausprobieren.
Viele der Jugendlichen hat daher die Frage, wie sie sich ihre alltägliche Medienkompetenz aneignen, verwundert: Mit Medien muss man sich aus ihrer Sicht heute einfach auskennen.
Ich hoffe, Sie kennen sich aus?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Satz zum Mobilitätsverhalten Jugendlicher sagen. Allgemein kommt auch die Sinusstudie zu dem Ergebnis, dass das Auto als Statussymbol bei jungen Leuten ausgedient hat. Smartphones und Tablets sind da wie beschrieben weit wichtiger, was mich als Umweltpolitiker des Landtags durchaus hoffen lässt.
Das Nutzungsverhalten gerade der jüngeren Menschen verändert sich. Gefragt ist nicht mehr alleine das Automobil, sondern Mobilitätsketten sind gefragt. Insgesamt darf man feststellen, dass junge Menschen pragmatisch mobil sind. Jugendliche entscheiden zweck-, kosten- und situationsabhängig, welches Verkehrsmittel gerade am besten passt. Mit dem öffentlichen Personennahverkehr zeigen sie sich im Großen und Ganzen zufrieden.
Busse und Bahnen sind für sie nicht nur ein Beförderungsmittel, sondern auch ein Ort, um in sozialen Austausch zu treten, Freunde zu treffen oder neue Kontakte zu knüpfen und Zeit für sich zu haben.
Um sich über ÖPNV-Angebote zu informieren, setzen die Jugendlichen auf Mobilitäts-Apps, die sämtliche Angebote innerhalb einer Stadt vernetzen.
Während vor allem für junge Leute im ländlichen Raum der Führerschein und als Fernziel ein eigenes Auto zum Erwachsenwerden einfach dazugehören, herrscht Skepsis gegenüber dem Automobil je innenstadtnäher oder Ballungszentren-orientierter die jungen Leute wohnen und leben. Eine Herausforderung, auf die sich zukünftig die Automobilindustrie wird einstellen müssen.
Meine Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, lassen Sie mich zum Schluss noch darauf hinweisen, dass die Erkenntnisse der Sinusstudie und auch der Shell Studie natürlich nicht für alle und jeden gleichermaßen gelten, den genauso wenig wie es die Erwachsenen gibt, gibt es die Jugendlichen. Dafür ist unsere Gesellschaft viel zu heterogen.
Aber grobe Orientierungen und Denkanstöße bieten die beiden Studien zumindest im Bereich der Moral- und Wertvorstellungen junger Menschen und ich fand es mal interessant, insbesondere über das geänderte Mobilitätsverhalten junger Menschen nachzudenken und wie die Digitalisierung unsere Lebenswelt schon sehr verändert hat, in den letzten 20 Jahren.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für die Zukunft und dass all Ihre Wünsche und Vorstellungen im persönlichen wie im beruflichen Umfeld in Erfüllung gehen mögen. Bleiben Sie kritisch gegenüber vermeintlichen Autoritäten, der Elterngeneration und Politikern und gehen Sie Ihren eigenen Weg. Dann, da bin ich mir ziemlich sicher, werden Sie mit Erfolg durch Ihren neuen Lebensabschnitt gehen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.