12. Oktober 2023

Rede zum Thema Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie

Plenarrede vom 12. Oktober 2023

Videomitschnitt der Rede

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Text der Rede

Es gilt das gesprochene Wort.

Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Klar ist: Wir machen uns stark für die Gastronomiebranche, und dafür brauchen wir keine Aktuelle Stunde der AfD, Herr Lilienthal. Wir machen das seit Jahren, und wir sind uns darüber klar, dass die Gastronomiebranche hier in Niedersachsen elementar für unser Zusammenleben ist. Die Gastronomie ist ein Ort der Begegnung. Hier kommen Menschen zusammen – ob beim romantischen Candle-Light-Dinner zu zweit, ob bei Familienfeiern, ob bei Vereinsfeiern. Hier kommen Menschen zusammen, die sich austauschen. Ich gehe so weit, zu sagen: Es ist ein hohes Kulturgut hier in Niedersachsen, dass wir eine gesunde Gastronomiebranche haben, die den sozialen Zusammenhalt fördert. Dort können Menschen zusammenkommen und sich austauschen.

Damit sind wir, glaube ich, alle ein Teil dieser Gastronomiebranche. Die Gastronomiebranche ist wiederum Teil der Tourismusbranche, die wiederum ein elementarer Wirtschaftsfaktor hier in Niedersachsen ist: für Einkommen, für Arbeitsplätze, für Wohlstand und vor allem für Lebensqualität, meine Damen und Herren. 43 Millionen Übernachtungen und ein Bruttoumsatz von rund 13,6 Milliarden Euro jährlich – damit spielt die Tourismusbranche in der ersten Liga – sogar noch vor der Bauwirtschaft, meine Damen und Herren.

Ich persönlich habe hohen Respekt vor der Arbeit und vor allem der Lebensleistung der Menschen, die in der Gastronomie arbeiten. Wenn wir feiern gehen, wenn wir uns treffen, gehen andere hart arbeiten für ein bisschen Geld, das sie dort verdienen.

Dann kam Corona – das wurde heute schon angesprochen. Die Branche wurde durch Corona schwer gebeutelt. Und kaum war Corona vorbei, kam der Ukraine-Krieg mit den uns bekannten Folgen: Inflation, Preissteigerung und vor allen Dingen Fachkräftemangel.

Ich will es noch einmal sagen: Gerade der Fachkräftemangel ist ein riesiges Problem für die Dorfgaststätten im ländlichen Raum. Diese sind hiervon besonders betroffen. Vor dem Hintergrund, dass gerade die Dorfgaststätten im ländlichen Raum vielfach der einzige soziale Treffpunkt sind, haben wir hier eine besondere, wichtige Verantwortung. Gerade um die Gastronomie zu stärken, haben wir ja ab dem 1. Juli 2020 den Mehrwertsteuersatz von 7 % bis zunächst Ende 2023 eingeführt.

In Zeiten von Corona ‑ ich glaube, das kann sich sehen lassen ‑ haben sowohl der Bund als auch das Land erhebliche Unterstützungszahlungen geleistet. Ich weiß, wir haben den Gastronomen auch einiges zugemutet, aber sie haben auch erhebliche Unterstützungsleistungen bekommen. Das war das größte Investitionsprogramm.

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Herr Kollege Henning, holen Sie mal kurz Luft! Es gibt bereits zwei Meldungen zu Zwischenfragen, aber ich kam bei Ihnen nicht dazwischen. Eine Frage kommt aus den Reihen der AfD. Lassen Sie die Zwischenfrage des Kollegen zu?

Frank Henning (SPD):

Aber gerne.

Thorsten Paul Moriße (AfD):

Danke, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen.

Wie erklären Sie Ihre Aussage? Sie haben gerade gesagt, Sie stärken seit Jahren die Gastronomie. Sie gehörten ja damals zur schwarz-roten Vorgängerregierung und haben durch Ihre Corona-Maßnahmen sämtliche Gastronomiebetriebe zerstört.

(Sabine Tippelt [SPD]: Das stimmt ja gar nicht! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wie kommen Sie jetzt zu dieser Aussage?

Frank Henning (SPD):

Lieber sogenannter Kollege der AfD,

(Beifall bei der SPD – Klaus Wichmann [AfD]: Sogenannter Kollege?)

ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben der Gastronomie einiges zugemutet. Darüber bin ich mir im Klaren, Herr Wichmann. Das war aber notwendig. Das war ein Abwägungsprozess.

(Zuruf von Klaus Wichmann [AfD])

– Hören Sie doch mal zu, wenn Sie eine Frage stellen!

(Klaus Wichmann [AfD]: Ich höre Ihnen zu, aber benehmen Sie sich doch mal!)

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Herr Henning, das war ein wenig irritierend. Das ist kein „sogenannter Kollege“. Das ist ein Kollege. Alle, die hier sitzen, sind gewählt.

Frank Henning (SPD):

Das ist eine Frage der Betrachtung.

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Genau.

(Klaus Wichmann [AfD]: Nein, das ist eine Frage von Frechheit oder Anstand, Herr Kollege!)

Frank Henning (SPD):

Wollen Sie jetzt meine Antwort hören, Herr Kollege, oder nicht?

(Klaus Wichmann [AfD]: Ja!)

– Gut.

Also, es war eine Abwägung: Auf der einen Seite standen die Erfordernisse des Gesundheitsschutzes und des Schutzes der Bevölkerung. Es ist doch wohl klar: Wenn man sich in einer solchen Krise wie der Corona-Krise befindet, in der Viren durch das Land geistern und Menschen um ihr Leben bangen müssen bzw. Leib und Leben akut gefährdet sind, dann muss der Staat gucken, wie man die Menschen schützt. Deshalb war es wichtig, überall dort, wo Menschen zusammenkommen, gerade im Bereich der Gastronomie, und an den Orten, wo große Veranstaltungen stattfinden, Einschränkungen vorzunehmen.

Gleichzeitig haben wir es aber hinbekommen, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Wir haben auf der einen Seite Gesundheitsschutz betrieben und auf der anderen Seite durch millionenschwere Corona-Unterstützungsleistungen den Gastronomen unter die Arme gegriffen. Wir haben sie nicht alleine gelassen. Das ist völlig falsch, was Sie da sagen.

Niemand hat die Gastronomie zerstört. Gehen Sie doch mal raus! Wir haben eine wunderbare Gastronomie in diesem Land. Ich habe das vorhin beschrieben.

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Herr Henning!

Frank Henning (SPD):

Das passt jetzt gerade sehr schön. Lassen Sie mich den einen Punkt bitte noch sagen!

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Es gibt noch eine weitere Wortmeldung zu einer Zwischenfrage. Ich weiß nicht, wann Ihre Antwort auf die Zwischenfrage von Herrn Moriße zu Ende ist. Es gibt noch den Wunsch von Frau Hermann nach einer Frage. Wir müssen das etwas einordnen.

Frank Henning (SPD):

Lassen Sie mich nur noch einen Satz zur AfD sagen, weil es gerade so schön zu meinem Skript passt: Ich wollte darauf verweisen, dass gerade das Land Niedersachsen ein umfassendes Gaststättenförderprogramm aufgelegt hat. Wir haben 130 Millionen Euro an Landesmitteln ‑ reine Landesmittel! ‑ für etwa 2 100 Betriebe bewilligt. Da ging es um Investitionen in die Modernisierung der Gastronomie, damit sie sich durch Modernisierungsleistungen zukunftsfest aufstellen kann.

Deswegen brauchen wir keine Belehrungen vonseiten der AfD. Wir haben alles getan.

Nun zu Frau Hermann: Sie haben eine Frage!

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Danke, Herr Henning.

Frank Henning (SPD):

Ach, Entschuldigung! Das macht die Präsidentin.

Carina Hermann (CDU):

Herr Henning, vor dem Hintergrund, dass Sie gerade die Bedeutung der Gastronomiebranche als Kulturgut für Niedersachsen herausgestellt haben: Werden Sie heute unserem Antrag auf sofortige Abstimmung über unseren Entschließungsantrag zustimmen, um ein klares Signal von Niedersachsen nach Berlin zu senden?

Frank Henning (SPD):

Vielen Dank, Frau Hermann. Ihre Frage gibt mir Gelegenheit, auf die Initiative hinzuweisen, die die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ‑ eine SPD-geführte Landesregierung mit einer sehr qualifizierten, guten Ministerpräsidentin, Manuela Schwesig ‑ in den Bundesrat eingebracht hat und die eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer auf 7 % vorsieht. Diese Bundesratsinitiative aus Mecklenburg-Vorpommern wird gerade in den Fachausschüssen des Bundesrates beraten. Sie war im Finanzausschuss, sie war im Wirtschaftsausschuss. Im Bundesrat hat man die Entscheidung auf den November vertagt.

Ich bitte Sie ‑ wir werden heute Nachmittag auch noch über Ihren Antrag diskutieren; dann kommen wir auf das Thema zurück ‑, ein bisschen Tempo aus der Sache herauszunehmen. Der Bundesrat debattiert ja gerade in den drei Fachausschüssen darüber. Der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates hat beispielsweise gesagt: Wir wollen eine weitere Verlängerung um zwei Jahre. – Das heißt, die Ermäßigung, die die CDU-geführte Bundesregierung damals auf zwei Jahre befristet hat, will der Wirtschaftsausschuss des Bundesrates jetzt noch einmal verlängern, bis Ende 2025.

Erlauben Sie einen Seitenblick, der mit dieser Mehrwertsteuersenkung nichts zu tun hat: Die Bundesratsinitiative, die aktuell in den Fachausschüssen diskutiert wird, hat einen weiteren Punkt aufgegriffen. Es soll nämlich der Reformbedarf beim Umsatzsteuergesetz evaluiert und über eine Entschlackung und Entbürokratisierung im Bereich der Umsatzsteuer diskutiert werden.

Ich war früher Betriebsprüfer und durfte mich den ganzen Tag damit beschäftigen. Gönnen Sie sich mal den Spaß, und gucken Sie in die Anlage 2 zu § 12 des Umsatzsteuergesetzes! Da finden Sie über 50 verschiedene Einzeltatbestände für den ermäßigten Steuersatz.

Was will ich damit sagen? – Ich glaube, hier gibt einen Riesenreformbedarf, in Sachen Verschlankung und in Sachen Bürokratieabbau. Deswegen ist die Debatte, die gerade in den Fachausschüssen des Bundesrates läuft, sehr hilfreich. Man diskutiert nicht nur über eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes, sondern klärt auch die Frage, inwieweit die Umsatzsteuer reformiert werden sollte, um Bürokratie abzubauen und das System anwenderfreundlicher zu gestalten.

Meine Damen und Herren ‑ ‑ ‑

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Herr Abgeordneter, es gibt noch eine Frage.

Frank Henning (SPD):

Ein letzter Satz zur Beantwortung der Frage von Frau Hermann: Ich glaube, eines eint uns doch alle ‑ das ist auch bei den Diskussionen im Bundesrat deutlich geworden ‑: Wenn es zu einer Mehrwertsteuersenkung kommt ‑ die wir uns durchaus vorstellen können ‑, dann muss ‑ das ist Forderung aller Länder, die sich damit im Augenblick im Bundesrat beschäftigen ‑ der Einnahmeausfall, den die Länder erleiden, aber natürlich durch den Bund ausgeglichen werden. Das ist auch Gegenstand Ihres Entschließungsantrages. Ich glaube, das ist zwingende Voraussetzung.

Es gibt bisher keine Entscheidung des Bundesrates. Sie wird wahrscheinlich im November gefällt. Insofern verstehe ich Ihre Eile nicht ganz. Wir haben jetzt schon Oktober. Im November wird der Bundesrat sich dazu positionieren.

Lassen Sie mich noch ein letztes ‑ ‑ ‑ Aber es gab noch eine Frage, glaube ich.

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Eben.

Frank Henning (SPD):

Dann machen wir noch eben die Frage.

Vizepräsidentin Barbara Otte-Kinast:

Es gab eine Wortmeldung zu einer Frage aus der Fraktion der AfD. Ich glaube, das Handzeichen kam von Herrn Rakicky.

(Jozef Rakicky [AfD] winkt ab)

– Nein, doch nicht.

Frank Henning (SPD):

Doch nicht? – Gut, dann lassen Sie mich zum Schluss kommen.

Hier geht es natürlich auf der einen Seite um die Wertschätzung der Gastronomie. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen ‑ das wissen Sie, Frau Hermann ‑: Wir tragen die Verantwortung für die öffentlichen Haushalte. Es ist auch eine Frage von Haushaltsklarheit und ‑wahrheit, sich über die Einnahmeausfälle für den Landeshaushalt Gedanken zu machen. Ich möchte darauf hinweisen, dass es, wenn die Mehrwertsteuer gesenkt wird, bundesweit zu Einnahmeausfällen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro kommen würde. Das würde auf den niedersächsischen Landeshaushalt mit jährlich 155 Millionen Euro durchschlagen.

155 Millionen Euro zulasten des Landeshaushalts – das ist eine schwierige Herausforderung. Es ist aus meiner Sicht haushalterisch im Augenblick nicht zu leisten. Deshalb noch einmal die Forderung der SPD-Fraktion: Wenn man zu einer dauerhaften Senkung des Mehrwertsteuersatzes kommt ‑ was am Ende der Bund entscheiden muss ‑, dann muss der Bund diese Einnahmeausfälle ausgleichen. Damit ist Finanzminister Lindner gefordert ‑ das will ich an dieser Stelle auch noch einmal sagen ‑, hier zu einer klaren Positionierung zu kommen.

Die Bundesregierung will die Herbst-Steuerschätzung abwarten, die Ende Oktober kommen wird, und im November entscheiden. Insofern, Frau Hermann, kann ich Ihre Eile da nicht verstehen. Im November wird die Sache so oder so entschieden.

Das ist auch richtig so. Denn das Vorziehen einer Mehrwertsteuersenkung zugunsten einer Branche kann man im Hinblick auf die anderen Branchen, die von Corona, Inflation usw. ebenfalls getrieben und belastet sind, aus meiner Sicht nicht vertreten. Eine Branche auszunehmen, halte ich an dieser Stelle für den falschen Weg.

Lassen Sie uns die Herbst-Steuerschätzung abwarten! Es wird spannend, wie sich die einzelnen Bundesländer bei der Diskussion im Bundesrat im November positionieren.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.