2. November 2016

Statement zum Vertragsentwurf mit den islamischen Religionsgemeinschaften (Runder Tisch der Religionen)

Es gilt das gesprochene Wort.

Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt den Vertragsentwurf zwischen dem Land Niedersachsen und den islamischen Religionsgemeinschaften DITIB und Schura, weil

  • ein solcher Vertrag das friedliche Zusammenleben aller Religionen in einem pluralistischen Gemeinwesen auf Augenhöhe befördert,
  • die in Deutschland lebenden Muslime ein wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft sind und auch der Islam zur Vielfalt religiösen Lebens in Deutschland gehört,

Zur Klarstellung bereits an dieser Stelle: Ich sage nicht, der Islam gehört zu Deutschland, sondern ich sage die Menschen muslimischen Glaubens gehören zu Deutschland, weil die Freiheit der Religionsausübung zu einem weltoffenen und pluralistischen Deutschland gehört!

  • sich die Vertragsbeteiligten in dem Vertragsentwurf alle gemeinsam auf einen für alle gültigen Wertekanon verständigt haben, da sie sich zu den allgemeinen Menschenrechten, zur Humanität und vor allem zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bekennen,
  • erklärtes Ziel des Vertrages ist, die Teilhabe der in Niedersachsen lebenden Muslime am kulturellen und sozialen Leben zu fördern, der Vertrag aber auch von den Muslimen die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung einfordert.

Grundlage des Vertragsentwurfs sind die Ziele und Werte des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Damit wird anerkannt, dass der Vertrag einerseits zur Achtung und Toleranz gegenüber anderen Religionen beiträgt, schließlich ist die freie Religionsausübung in Artikel 4 des Grundgesetzes Teil unserer Verfassung, andererseits aber auch deutlich gemacht wird, dass in Deutschland die freiheitlich demokratische Grundordnung das Maß aller Dinge ist und eben nicht die Scharia.

Ferner ist uns als SPD wichtig, dass sich die Vertragsparteien damit auch zum Grundsatz der Neutralität des Staates gegenüber Religionen und Weltanschauungen bekennen. Auf das Urteil des BVerfG zum Kopftuchverbot gehe ich dann später noch ein.

Wir halten den Vertrag für sehr ausgewogen, da sich die Muslime mit ihm zur Gleichberechtigung von Mann und Frau bekennen und zur vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen am gesellschaftlichen, schulischen, beruflichen und politischen Leben.

Andererseits macht aber auch das Land Niedersachen deutlich, dass beim „Reizthema“ Bau und Betrieb von Moscheen, die gesetzlichen Vorschriften gelten und damit bei Einhaltung aller geltenden Bauvorschriften zu genehmigen sind, auch wenn das wiederum ein Teil der deutschen, christlich orientierten, Mehrheitsgesellschaft nur schwer ertragen kann.

Das beinhaltet auch das Recht für Muslime Schulen in privater Trägerschaft einzurichten und zu betreiben. Ich will nicht verhehlen, dass dieser Punkt für einen großen Teil der sozialdemokratischen Landtagsfraktion ein Problem in der Debatte dargestellt hat, denn einerseits treten Sozialdemokraten grundsätzlich für eine Stärkung des öffentlichen Schulwesens und für eine stärkere Trennung von Staat und Kirche, zumindest im Bereich des Schulwesens, ein – ich gehöre ausdrücklich auch dazu –, andererseits sind Privatschulen nach unserem Grundgesetz ausdrücklich erlaubt, immer vorausgesetzt, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden.

In der Konsequenz bedeutet das, dass es dann eben auch muslimisch geprägte Privatschulen geben muss, wenn es entsprechende katholische Konkordatsschulen oder allgemein Schulen in privater Trägerschaft in Deutschland gibt. Auch das ist am Ende eine Frage der Gleichbehandlung. Ich sage allerdings auch, dass Privatschulen nicht das erste Ziel der Sozialdemokratie sind, da ich glaube, dass sie zur Elitenbildung beitragen und häufig aufgrund der Höhe des Schulgeldes auch eine soziale Auslese erfolgt. Aber das ist eine andere Debatte. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten müssen alle Religionen auch in diesem Themenfeld – Privatschule ja oder nein – gleichbehandelt werden.

Nicht zuletzt auch deshalb haben wir uns, anders als z. B. das Land Bremen, mit dem Vertrag eben auch dazu entschlossen, islamischen Religionsunterricht an allen Schulen in Niedersachsen zu erteilen. Wichtig war uns allerdings, dass die islamischen Religionsgemeinschaften bei der Auswahl der Lehrkräfte zwar mitwirken, dass der Staat über die Landesschulbehörde und den Schulträger am Ende aber bei der Personalauswahl den Hut auf hat und dass der Islamunterricht in deutscher Sprache zu erfolgen hat, da wir nur so die Integration befördern können.

Ein Streitpunkt war die ursprüngliche Forderung nach Gebetsräumen in der Schule. Wir haben das strikt abgelehnt, weil wir der Auffassung sind, dass das der Neutralitätspflicht der Schule in religiösen und weltanschaulichen Fragen zuwiderlaufen würde. Deshalb sieht der Vertragsentwurf jetzt auch nur einen allgemeinen Hinweis darauf vor, dass Schülerinnen und Schüler außerhalb der Unterrichtszeiten das Recht haben, während des Schulbesuchs zu beten. Einen allgemeinen Verfügungsraum für alle möglichen schulischen und außerschulischen Zwecke, der von jedem nutzbar ist – dann u. a. auch für das Beten – können wir uns dabei grds. vorstellen, allerdings keinen expliziten Gebetsraum in Schulen.

Das Urteil des BVerfG vom 27.01.2015 zum Kopftuchverbot an Schulen wird von uns selbstverständlich respektiert und auch im Vertragsentwurf umgesetzt, wenngleich ich glaube, dass die Mehrheit der SPD-Landtagsfraktion, ich eingeschlossen, das Urteil in der Sache für falsch hält, weil es der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG aus 2003 widerspricht und auch die Neutralitätspflicht des Staates untergräbt.

Das Urteil ist mit 6:2 Stimmen ergangen. Es gibt dazu auch eine veröffentlichte Minderheitsmeinung, die – glaube ich – die Stimmung der Mehrheit der SPD-Landtagsfraktion eher widerspiegelt. Aus Zeitgründen will ich jetzt auf das BVerfG-Urteil nicht näher eingehen, wir kommen sicherlich in der anschließenden Diskussionsrunde darauf zurück. Nur so viel vorab:

Ich halte das BVerfG Urteil deshalb für ein Fehlurteil, weil es realitätsfern ist, die Neutralitätspflicht des Staates und der Schule untergräbt und die Letztentscheidung, ob ein Kopftuch von einer Lehrkraft in der Schule getragen werden darf oder nicht auf die unterste kommunale Ebene verlagert.

Wer wird denn in der Praxis entscheiden, ob durch das Tragen eines Kopftuchs eine ganz konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgeht, so wie es das BVerfG verlangt? Im Zweifel wird das die Schulleitung, der Schulträger oder vielleicht noch die Landesschulbehörde entscheiden müssen, ohne dass das BVerfG praxistaugliche Hinweise gegeben hätte, anhand welcher Kriterien diese Frage in der Praxis des Schulalltags beurteilt werden soll.

Nach der bisherigen Rechtsprechung reichte eine abstrakte Gefahr für den Schulfrieden aus.

Abschließend will ich dazu nur noch an diejenigen, die das Urteil des BVerfG als Sieg der Religionsfreiheit beklatschen, auf John Stuart Mill, einen der einflussreichsten liberalen Vordenker des 19. Jahrhunderts, verweisen, der einmal gesagt hat:

„Die Freiheit des Einzelnen hört da auf, wo die Freiheit des anderen anfängt.“

Wie würden Sie reagieren, wenn ein schwarz gekleideter Priester mit großem Kreuz ihre Kinder in Mathe unterrichtet und ein Richter mit Kippa muslimische Jugendliche wegen begangener Straftaten verurteilt?

Dies soll nur als Anregung für die gleich folgende Diskussion verstanden werden. Bleibt zum Schluss nur noch zu fragen: Warum hat die SPD-geführte Landesregierung den Vertrag bisher nicht unterschrieben bzw. warum hat der Landtag dazu bisher noch keinen Beschluss gefasst, obwohl die SPD-Landtagsfraktion doch trotz zahlreicher Bedenken in den eigenen Reihen grundsätzlich bereit ist, dem Vertrag zuzustimmen?

Das wiederum ist relativ einfach zu beantworten: Wenn der Vertrag zum friedlichen Zusammenleben einen Beitrag leisten soll, trotz schwieriger Themen, die in der deutschen Mehrheitsgesellschaft sehr kontrovers diskutiert werden, wie Moscheebau, Kopftuchverbot, islamischer Religionsunterricht und muslimische Privatschulen, dann brauchen wir dazu einen gesellschaftlichen Konsens, zumindest aber einen Konsens unter den Fraktionen des Landtags.

Wenn nur SPD, Grüne und FDP bereit sind, den Vertrag zu unterschreiben, die größte Fraktion des Niedersächsischen Landtags, die CDU-Fraktion, dazu aber nun mal nicht bereit ist, dann kann man nicht von einem gesellschaftlichen Konsens im Lande sprechen und deswegen liegen die Beratungen auf Eis, bis entweder die CDU sich bewegt hat oder der gesellschaftliche Konsens im Land hergestellt ist.

Auch wenn ich zutiefst davon überzeugt bin – trotz vorgetragener Bedenken in Detailfragen –, dass der Vertrag unser Land weiterbringen und die Integration befördern würde, sollte man derartige Fragen wie dargestellt nicht mit knappen Mehrheiten im Landtag entscheiden. Ich bin aber froher Hoffnung, dass sich auch die CDU-Fraktion in dieser Frage noch bewegen wird.