5. Januar 2015

Rede zum Handgiftentag 2015

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Ratskolleginnen und Ratskollegen,
sehr geehrter Herr Innenminister Pistorius,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Griesert,
sehr geehrter Herr Landrat Dr. Lübbersmann,
sehr geehrte Mitglieder des Landtages und des Bundestages,
verehrter Ehrenbürger Hans-Jürgen Fip,
verehrte Möser- und Bürgermedaillen- sowie Ehrenringträger,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich darf Ihnen und den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt im Namen der SPD-Ratsfraktion zunächst ein gutes und friedliches neues Jahr 2015 wünschen.

Wir begehen heute den Handgiftentag im Osnabrücker Rathaus nach einem aus dem späten Mittelalter überlieferten Brauch. Die Entstehung des Handgiftentages ist mit den Ursprüngen der städtischen Selbstverwaltung eng verbunden. Damals reichten sich die an den komplizierten Ratswahlen beteiligten Wahlmänner die Hände als Zeichen guter und ehrbarer Absichten. Heute wie früher bleiben übrigens die Teilnehmer an der feierlichen Zusammenkunft anschließend noch in geselliger Runde beisammen. Und, wie Ratsrechnungen der Jahre 1511 und 1512 belegen, war der „Handgiftendach“ auch damals ein Anlass, um Wein auszuschenken.

In der Chronik der Osnabrücker Stadtgeschichte ist nachzulesen, dass die Ratsherren damals wie heute kein Gehalt erhielten, dafür aber jede Menge Wein zu den Ratssitzungen. Am Handgiftentag wurde auf Kosten der Stadt ein großes Mahl gegeben, zu dem auch ein Ochse geschlachtet wurde. Haushaltskonsolidierung und Sparsamkeit waren offensichtlich noch nicht erfunden und so erklärt sich auch, warum das Wahlverfahren zur Wahl der Ratsmitglieder am Handgiftentag nicht nur sehr kompliziert war, sondern auch sehr lange dauerte.

Auf Seite 262 der Osnabrücker Stadtchronik kann man das Wahlverfahren nachlesen: „Auch diese zweite Kür beriet auf dieselbe Weise die Wahl des Rats, nicht zu schnell; man trank den Wein gern ruhig und gefiel sich wohl auch darin, den Rat in Ungewissheit zu lassen. Dieser wieder ließ auf dem neuen Rathause sich’s wohl sein bei einem stattlichen Gastmahl auf Kosten der Stadtkasse. (…) Sparsamkeit war nicht angebracht.“ Meine Damen und Herren, all den kleinlichen Krämerseelen sei gesagt, auch der Handgiftentag des Mittelalters ging auf Kosten der Stadt und unsere weisen Vorväter – Frauen waren ja leider noch nicht zur Ratswahl zugelassen – taten gut daran, diese Tradition nicht den Zielen der Haushaltskonsolidierung zu unterwerfen.

Heute ist der Handgiftentag Anlass genug, auf die wichtigsten kommunalpolitischen Ereignisse des vergangenen Jahres zurückzublicken. Das Jahr 2014 war u. a. auch dadurch geprägt, dass die Osnabrückerinnen und Osnabrücker dem Ruf der Friedensstadt gerecht geworden sind und durch eine Vielzahl von Aktionen Flüchtlingen und Zuwanderern geholfen haben, in Osnabrück Fuß zu fassen. Ich denke da etwa an das Osnabrücker Bündnis gegen Abschiebungen. Mehrere Dutzend Osnabrückerinnen und Osnabrücker haben sich regelmäßig auch in 2014 schützend vor Flüchtlingsunterkünfte gestellt und Abschiebungen durch die Polizei verhindert. Die Osnabrücker JUSOS und die Unabhängige Hochschulgruppe haben Sachspenden in Form von Kinderwagen, Kinderbetten und Spielzeug gesammelt, um Flüchtlingsfamilien zu helfen. Dieses sind nur zwei kleine Beispiele – die Liste ist tatsächlich um ein Vielfaches länger – für das couragierte Verhalten der Osnabrückerinnen und Osnabrücker, das dem Image und dem Anspruch der Friedensstadt gerecht geworden ist.

Aber auch der Rat der Stadt war nicht untätig. Die Verwaltung wurde durch einstimmigen Ratsbeschluss beauftragt, ein „Konzept zur Integration und Unterbringung von Flüchtlingen“ zu erstellen. 2014 wurde eine Koordinierungsstelle Flüchtlingsarbeit gemeinsam mit erfahrenen Trägern der Flüchtlingssozialarbeit eingerichtet. Als eine Schnittstelle zwischen der Verwaltung, freien Trägern und Flüchtlingen arbeiten mittlerweile drei Vollzeitkräfte, um Flüchtlinge zu beraten und zu begleiten.

Ich bedanke mich an dieser Stelle im Namen der SPD-Fraktion bei unserem Innenminister Boris Pistorius für die Entscheidung des Landes, eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus in Osnabrück einzurichten und ich bedanke mich ausdrücklich auch für die neue Integrations- und Flüchtlingspolitik unseres Innenministers im Allgemeinen. Diese Entscheidung von Innenminister Pistorius liegt auf seiner bisherigen Linie, auch ganz bewusst in Abkehr von der Schünemann’schen Flüchtlings-und Integrationsvermeidungspolitik, in den zurückliegenden eineinhalb Jahren den Einstieg in eine Willkommenskultur für Migrantinnen und Migranten einzuleiten. So stellt das Land Niedersachsen insgesamt 1,5 Millionen Euro für ein Modellprojekt zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen ohne definierten Aufenthaltsstatus zur Verfügung.

Im Rahmen eines weiteren Modells soll in Göttingen und Hannover eine Anlauf- und Vergabestelle eingerichtet werden, in der die Flüchtlinge medizinisch betreut und aufenthaltsrechtlich beraten werden. Darüber hinaus erhöht das Land die Mittel für das Krisen- und Traumazentrum, in dem traumatisierte Flüchtlinge und Folteropfer behandelt und betreut werden. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Entscheidung des Landes, in Osnabrück eine Erstaufnahmeeinrichting für Flüchtlinge einzurichten, unseren kommunalen Haushalt dauerhaft entlasten wird. Die Kosten für die Flüchtlingsunterbringung trägt zukünftig das Land, so dass wir im kommunalen Haushalt in etwa in der Summe mit 4 Mio. € jährlich entlastet werden.

Mein Dank gilt an dieser Stelle aber auch unserem Oberbürgermeister Wolfgang Griesert, der sich in einer schnellen und unkomplizierten Zusammenarbeit mit seinem Amtsvorgänger Boris Pistorius für diese Lösung stark gemacht hat. Sie sehen daran, meine sehr geehrten Damen und Herren: Der Erfolg hat bekanntlich immer viele Väter und Mütter. Die wichtigste stadtentwicklungspolitische Entscheidung des Jahres 2014 betraf den Neumarkt. Der mit großer Mehrheit vom Rat der Stadt gegen die Stimmen der CDU-Fraktion gefasste Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan Neumarkt und dem damit verbundenen Bau des Einkaufscenters von MFI war eine der zentralen wirtschafts- und finanzpolitischen Weichenstellungen im vergangenen Jahr. Wenn die Bauverwaltung den Bauantrag nun zügig genehmigt, werden wir nach unserer festen Überzeugung nicht nur einen seit 25 Jahren bestehenden städtebaulichen Missstand am Neumarkt beseitigen.

Wir werden auch – und ich möchte an dieser Stelle Herrn Landrat Dr. Lübbersmann kollegial bitten, jetzt wegzuhören – durch neue und zusätzliche Kunden, die durch die hohe Strahlkraft des Einkaufscenters ins Umland nach Osnabrück gezogen werden, weitere Umsätze und Kaufkraft für die Kaufmannschaft in Osnabrück generieren. Dies hat wiederum in der Folge höhere Steuereinnahmen für die Stadt zur Folge, die dabei helfen, unsere Finanz- und Haushaltslage in den nächsten Jahren kontinuierlich zu verbessern.

Nicht zu unterschätzen wird der Bau des Centers auf die Investitionsbereitschaft der umliegenden Grundstückseigentümer sein. Neben den direkten Investitionskosten von 150 Mio. € durch die Firma MFI rechnen wir mit Folgeinvestitionen von 70 Mio. € im unmittelbaren Umfeld. Mit positiven Folgen für die Steuerkraft in dieser Stadt. Auch das Oberverwaltungsgericht hat zum Jahresende grünes Licht für den Bau des Shoppingcenters gegeben und damit klargestellt, dass die Einwände der Centergegner auch juristisch nicht haltbar sind. Die Kernaussagen des sog. CIMA-Gutachtens, dass das neue Center im Hinblick auf die bisherige Einzelhandelsentwicklung in dieser Stadt sehr wohl verträglich ist und es eben nicht zu einer reinen innerstädtischen Umsatzumverteilung kommen wird, wurden vom Oberverwaltungsgericht nicht beanstandet. Mein Dank geht an dieser Stelle deshalb auch an die Fraktionen der sog. Regenbogenkoalition aus SPD, Grünen, FDP, Linken, UWG und Piraten, die jetzt über Jahre hinweg gemeinsam an dem Ziel der städtebaulichen Aufwertung des Neumarkts mit Erfolg gearbeitet und dem Durchführungsvertrag zum Neumarkt die entscheidenden Impulse gegeben haben, so dass der Investor MFI auch seine Unterschrift unter den Vertrag setzen konnte.

Meine Damen und Herren, ich erwähne dies deshalb an dieser Stelle, da es keine Selbstverständlichkeit in diesem Hause ist, dass es von der Linken bis zur FDP-Fraktion in der Frage der Neumarktentwicklung eine so große Einigkeit gibt – nur die CDU-Fraktion hat sich in dieser Frage völlig isoliert und ins politische Abseits gestellt.

Meine Damen und Herren, diese positive Entwicklung am Neumarkt steht in einer roten Linie mit einer Reihe weiterer, für die Stadtentwicklung bedeutsamer Ereignisse des Jahres 2014. Das InnovationsCentrum Osnabrück (ICO) nahm seinen Betrieb auf und ist heute bis auf den letzten Winkel an vielversprechende Existenzgründungsunternehmen vermietet. Mit der Eröffnung des Hasehauses wurde die architektonische Messlatte für die kommenden Veränderungen am Neumarkt hoch gelegt und zum fünften Mal wurde einem außergewöhnlichen Unternehmen, dem IT-Dienstleister LM IT Services AG, der Osnabrücker Wirtschaftspreis verliehen.

Die Entwicklungen von Hochschule und Universität tragen entscheidend dazu bei, dass sich Osnabrück im weltweiten Wettbewerb als attraktiver Standort profiliert. Nicht zuletzt steigen die Studierendenzahlen auch in Osnabrück wieder, aufgrund der Entscheidung der rot-grünen Landesregierung, die Studiengebühren abzuschaffen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang für die SPD-Fraktion eine weitere deutliche Positionierung vornehmen. Die verkehrliche Erschließung des Wohn- und Wissenschaftsparks an der Sedanstr. ist im Hinblick auf die Verlässlichkeit planerischer Entscheidungen der Stadt für die Investitionsbereitschaft von Investoren von entscheidender Bedeutung.

Die SPD-Fraktion ist daher der Auffassung, dass der Wissenschaftspark an der Sedanstr. nicht nur über die bestehende östliche Verbindung zur Sedanstr. hin, sondern zusätzlich auch von Norden her erschlossen werden sollte. Eine Aufhebung des B-Plans 571 ist entgegen anderslautender Meldungen in der Tagespresse auch von der rot-grünen Zählgemeinschaft im Rat nicht gewollt. Einem Punkt haben wir uns als SPD-Fraktion aber nicht verschlossen: Die neue Erschließungsstraße soll in einem Gesamtkonzept Westerberg integriert werden. Wir wollen keine losgelöste Westerberg-Lösung, sondern die Verkehrsprobleme des Westerberges müssen im gesamtstädtischen Kontext gelöst werden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch einen Ausblick auf das Jahr 2015 wagen: Die zentrale Herausforderung sehe ich im Jahr 2015 darin, die Bildungspolitik und das Thema Inklusion voranzubringen, gleichzeitig aber die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt Osnabrück dabei nicht zu gefährden. Der SPD-Fraktion ist es wichtig, dass der individuelle Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler Bezugspunkt aller schulpolitischen Anstrengungen ist. Der Mitteleinsatz hat deshalb schwerpunktmäßig zunächst dort zu erfolgen, wo der Bedarf u.a. aufgrund der bisherigen Schullaufbahnempfehlungen am größten ist. Es kann aus unserer Sicht jedenfalls nicht richtig sein, dass es Grundschulen in Osnabrück gibt, an denen nach der 4. Klasse 85 % Gymnasialempfehlungen ausgesprochen werden, während es in anderen Grundschulen nur 15% sind. Hier müssen die knappen Mittel zielgerichtet verwendet werden. Das heißt, dass den besonderen Rahmenbedingungen bspw. der Stüveschule, der Rosenplatzschule oder der Heiligenweggrundschule zu entsprechen ist, um allen Schülerinnen und Schülern den Zugang zu hochwertigen Bildungsangeboten zu ermöglichen.

Bei den weiterführenden Schulen werden wir konsequent unsere Wahlversprechen von der Kommunalwahl vom September 2011 einhalten und noch in dieser Ratsperiode die Voraussetzungen für die Einrichtung einer weiteren Integrierten Gesamtschule schaffen. Ich verweise auf den diesbezüglichen Ratsbeschluss vom März 2014, wo der Rat die Verwaltung beauftragt hat, den konkreten Bedarf zu ermitteln und sachgerechte Kriterien für eine Standortauswahl zu entwickeln. Wir folgen damit einem mehrfach erklärten Elternwillen und der Notwendigkeit, mehr Kindern eine Chance auf eine Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu verschaffen. Das starre dreigliedrige Schulsystem mit der Verteilung der Kinder nach vorwiegend sozialen Gesichtspunkten schränkt nach unserer Auffassung die Bildungschancen mancher Kinder ein.

Wir lehnen ab, dass der Schulerfolg des Kindes vom Einkommen der Eltern abhängig ist. Förderschulen mit dem Schwerpunkt Sprache – wie bspw. die Lüstringer Bergschule – wird mit der geplanten Schulgesetznovelle die Möglichkeit gegeben, sich in eine inklusive Grundschule umzuwandeln und Kinder mit Förderbedarf im Bereich Sprache in speziellen Sprachheilklassen zu unterrichten. Ich halte auch die damit verbundene Option, die Lüstringer Bergschule als Förderschule Sprache mit der Waldschule Lüstringen zu einem gemeinsamen Förderzentrum zusammenzulegen, für sehr überlegenswert.

Würden sich die Lüstringer Bergschule und die Waldschule Lüstringen zu einem Förderzentrum mit angeschlossenen Sprachheilklassen für Kinder mit dem Förderbedarf Sprache zusammenschließen, wären die Chancen auf eine Mensa gut und die so zusammengelegten Schulen könnten als Ganztagsschulen ausgestattet werden. Darüber wird mit den Eltern und den betroffenen Schulleitungen in diesem Jahr zu reden sein. Zumindest ist das eine interessante Option auf eine weitere Ganztagsschule im Grundschulbereich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich schließen mit einer Bitte an den Oberbürgermeister für den nächsten Handgiftentag im Jahre 2016. Ich zitiere dazu erneut aus der Osnabrücker Stadtchronik, Seite 262: „Bis 1689 hatte man den Handgiftentag stets am 2. Januar vorgenommen. Da in diesem Jahre der Wahltag auf einen Sonntag fiel, versammelte sich so viel Volks auf dem alten Rathause, dass der Fußboden einbrach, wodurch viele Personen schwer verletzt wurden. Daher bestimmte man, dass hinfort die Wahl, wenn der 2. Januar auf einen Sonntag falle, erst am 3. vorzunehmen sei.“ Vor dem Hintergrund dieser historischen Anweisung, die nach meiner Recherche auch heute noch gültig ist, da es dazu keinen anderslautenden Ratsbeschluss gibt, hätte der diesjährige Handgiftentag eigentlich am Freitag, den 2. Januar, stattfinden müssen. Für den Handgiftentag 2016 möchte ich daher beantragen, entsprechend der Regelung von 1689 zu verfahren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.