21. Mai 2017

Eröffnungsrede zur Ausstellung dat hillige Evangelium recht prediken

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Brandebusemeyer als Direktor des Gymnasiums Carolinum,
sehr geehrter Herr Klaus Wahlbrink, sehr geehrte Frau Eva Evers als betreuende Lehrkräfte des Gymnasiums Carolinum,
liebe Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Carolinum,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste.

Ich freue mich, Sie zur Eröffnung der Ausstellung

„… dat hillige Evangelium recht prediken.
Osnabrück im Zeitalter der Reformation“

hier im Kulturgeschichtlichen Museum begrüßen zu dürfen.

Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte der Augustinermönch Martin Luther in Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel. Nach diesem 31. Oktober sollten sehr viele Steine nicht mehr aufeinander bleiben, im Gegenteil: Luthers – zunächst nur fachlich-theologisch gemeinte – Kritik an der bestehenden christlichen Kirche und ihren Praktiken, aber auch an ihrem religiösen Grundverständnis, sollte ein epochemachendes Erdbeben auslösen. Wenn wir heute von „der Reformation“ sprechen, wissen in der Regel alle sofort, was gemeint ist.

Ereignisse, die sich im historischen Rückblick als epochemachend erweisen, müssen immer auch in ihrem zeitlichen Zusammenhang gesehen werden. Um 1500 tut sich eine Menge. Gerade hat Kolumbus – aus europäischer Perspektive – eine „Neue Welt“ entdeckt. Mit der Renaissance und der Wiederentdeckung antiken Wissens verändert sich der Blick auf die Welt und die Natur. Der Mensch als Individuum rückt in den Fokus – Gott bekommt gewissermaßen irdische „Konkurrenz“.

Aber auch Ängste gehören in diese Zeit. Es herrscht – einmal mehr – Endzeitstimmung. Größere Naturkatastrophen werden als Strafe Gottes gedeutet; eine kleine Eiszeit liegt gerade hinter Europa und auch die große Pestwelle des 14. Jahrhunderts ist noch nicht vergessen. Die Christenmenschen wissen daher nicht, ob das Weltgericht vor der Tür steht; man sucht und deutet nach den Weltuntergangszeichen der von Johannes in der Bibel beschriebenen Apokalypse.

1453 wird Konstantinopel von den Osmanen erobert. Mit der Überschreitung des Bosporus fühlen sich die christlichen Herrscher in Europa massiv bedroht. Bis ins 17. Jahrhundert hinein werden immer wieder sog. Türkenkriege geführt – und natürlich werden auch Steuern erhoben, um diese Kriege finanzieren zu können.

Spanien – bald Teil des großen Habsburgerreiches – wird seit der Erneuerung der Inquisition 1481 ein Land fanatischer Religiosität. Mit der Eroberung Granadas 1492 wird der Islam mit seiner reichen Kultur nach Jahrhunderten wieder von der iberischen Halbinsel verdrängt – und mit ihm das unter den arabischen Herrschern tolerierte Judentum.

Zurück zu Luther. Reformversuche in der christlichen Kirche hatte es schon vor ihm gegeben. Nun aber blieben die reformerischen Ideen nicht länger begrenzt oder hätten noch unterdrückt werden können – denken wir etwa an den böhmischen Reformer Jan Hus, der für seine Gedanken auf dem Scheiterhaufen mit seinem Leben bezahlen musste – in der Ausstellung werden Sie gleich zu Beginn eine zeitgenössische Abbildung dazu finden.

Nun, 1517, war offensichtlich ein Boden bereitet, auf dem Luthers Ideen und die seiner Mitstreiter Nahrung fanden und gedeihen konnten. Und die Reformer fanden entsprechende politische Unterstützung – etwa Luther mit dem sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen. Und so konnte sich, von Wittenberg ausgehend, der Protestantismus allmählich ausbreiten – auch bis nach Osnabrück.

Die ersten Spuren der neuen Lehre finden wir hier Anfang der 1520er Jahre, als Gerhard Hecker – übrigens wie Luther ein Augustinermönch – nach der neuen Lehre predigt. Bis die Reformation in Osnabrück endgültig eingeführt wird, sollte es allerdings noch bis 1543 dauern. Die Ausstellung wird Sie darüber ausführlich informieren.

Was veränderte die Reformation aus gesellschaftlicher Perspektive? Lassen Sie mich Ihnen dazu kurz ein paar Aspekte nennen, die wichtig erscheinen:

Prof. Solms, Sprachhistoriker an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hebt hervor, dass die Neuzeit im Grunde mit Luthers Bibelübersetzung ins Deutsche begann. Die „Lutherbibel“ von 1545 gab den Impuls für die Entwicklung des Neuhochdeutschen, wie wir es heute sprechen. Angesichts der ungezählten Dialekte, die in der Zeit gesprochen und geschrieben wurden, wurde Luthers Sprache mit der sich verbreitenden Unterweisung der Menschen anhand der Bibelübersetzung – und auch anhand des Katechismus, der sog. Laienbibel – zu einer Art Standard.

Dieser Standard war an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtet. Das wird gerne so schön drastisch-plastisch dargestellt, Luther habe „dem Volk auf’s Maul geschaut“. Wichtig war ihm, dass die Botschaft des Evangeliums für jede/n verständlich wurde.

Auch die Drucker der Zeit hatten an der Standardisierung der deutschen Sprache ihren Anteil: Die Texte mussten sinnvoll gesetzt und gedruckt werden; dass wir heute etwa Substantive groß schreiben, hat sich z.B. mit der Verbreitung der Lutherbibel und ihrem Gebrauch entwickelt.

In der Reformation erleben wir ferner eine Bildungsreform. Um die neue religiöse Botschaft zu vermitteln, war es nötig, dass die Menschen dazu befähigt wurden, selbst zu lesen und zu schreiben, um verstehen zu können, was in der Bibel stand. Die Reformatoren hielten jeden Menschen, auch jeden Geschlechts, für bildungsfähig und bildungswürdig.

Aus der von Luther gemeinsam mit Philipp Melanchthon durch die Reformation angestoßenen Bildungsreform hat sich im Grunde unsere allgemeine Schulpflicht entwickelt. Denn den Reformatoren war daran gelegen, dass das Bildungswesen aus der Kirche herausgelöst und durch die jeweiligen weltlichen Landesherren garantiert wurde.

Es gäbe viele weitere Aspekte, die hier aufgeführt und besprochen werden könnten;

  • etwa die Frage des Sozialwesens;
  • die mit der Reformation verbundenen sozialen Unruhen. Luthers Botschaft des „freien Christenmenschen“ löste ja unter anderem die Bauernkriege von 1524/25 aus, die durch die Landesherren brutal niedergeschlagen wurden. Übrigens mit Unterstützung Luthers, der seine Botschaft keinesfalls als Rechtfertigung sozialer Aufstände gegen die weltliche Obrigkeit verstanden wissen wollte.
  • Oder Luthers offener Antijudaismus.

Zu vielen dieser Themen hält das Programm der hiesigen Trägergemeinschaft zum Reformationsjubiläum entsprechende Angebote bereit.

Lassen Sie mich vielleicht noch ein Stichwort anfügen: Die Frage nämlich, was uns die Reformation heute noch zu sagen hat? Gibt es Parallelen zu unserer Gegenwart?

Ein wichtiger Aspekt der Geschichte der Reformation an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit erscheint mir diesbezüglich zu sein, dass sie ihre Wucht nie hätte erreichen können, wenn es sich nicht gleichzeitig um eine mediale Revolution gehandelt hätte.

Ohne die neuen Möglichkeiten, die der durch Gutenberg revolutionierte Buchdruck mit beweglichen Lettern bot, hätten die Ideen der Protestanten um Luther nicht in der Geschwindigkeit und in der Breite „unter das Volk“ gebracht werden können.

Mit der weltumspannenden Entwicklung des Internets und der „social media“ haben wir es heute vermutlich wieder mit einer vergleichbaren epochemachenden technischen Revolution zu tun. Es lohnt sich sicher, vor dem Hintergrund dieser Ausstellung einmal darüber nachzudenken.

Ob wir heute wieder an einer Zeitenwende stehen, wie die Menschen der Reformationszeit um 1500, wird sich erst in den kommenden Jahren, vielleicht eher in Jahrzehnten im Rückblick auf heute zeigen können.

Lassen wir es dabei bewenden.

Schließen möchte ich mit einem besonderen Dank. Er gilt den beteiligten Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Carolinum. Ich drücke Euch die Daumen für Eure Premiere und wünsche Euch viel Spaß bei Eurer Arbeit und bin selbst sehr gespannt.

Der Dank gilt zudem allen beteiligten Pädagogen der Schule und des Museums. Sie werden uns im Anschluss noch Näheres zur Entstehung des Projektes berichten.

Der Dank gilt schließlich auch ganz besonders Herrn Brandebusemeyer, dem Direktor des Carolinums. Sie, lieber Herr Brandebusemeyer, haben Ihren Schülerinnen und Schülern mit der Unterstützung dieses Projektes, einen ganz besonderen Lernraum eröffnet, der in dieser Form nicht alltäglich ist:

  • Der Unterricht muss nach etwas anderen Regeln möglich sein, als es sonst üblich ist.
  • Und die Schülerinnen und Schüler müssen extra freigestellt werden, damit die Arbeit im Museum – und jetzt die Begleitungen anderer Schulklassen – möglich werden.

Indem Sie Ihren beteiligten Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern die nötigen Freiräume eröffnet haben, arbeiten Sie mit an einer Modernisierung der pädagogischen Kooperation zwischen unseren Osnabrücker Museen und Schulen – und dafür bin ich Ihnen als Vertreter der Stadt an dieser Stelle sehr dankbar. Ich denke, dass das einen Applaus wert ist.

Meine Damen und Herren, liebe Gäste. Hiermit ist die Ausstellung offiziell eröffnet.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.