14. September 2021
Rede zur betrieblichen Mitbestimmung
Plenarrede vom 14. September 2021
Videomitschnitt der Rede
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Text der Rede
Es gilt das gesprochene Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das deutsche Mitbestimmungsrecht, das Betriebsverfassungsgesetz und das System der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind wichtige Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft, die es aus unserer Sicht zu verteidigen und vor allen Dingen auszubauen gilt.
Das Thema Mitbestimmung ist wichtig, weil Mitbestimmung den sozialen Frieden sichert und damit die Grundlagen für alles Wirtschaften in diesem Land legt. Sozialer Friede ist Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und auch Voraussetzung dafür, dass Unternehmen hier vernünftig arbeiten können.
Die Mitbestimmung ist vor allen Dingen auch ein Beitrag zur Gewinnung qualifizierter Fachkräfte. Und nicht zuletzt sind, wie diverse Untersuchungen belegen, gerade mitbestimmte Unternehmen besonders erfolgreich am Markt und erzielen besonders gute Renditen, weil die Zufriedenheit der Mitarbeiter durch Teilhabe deutlich höher ist. Im Übrigen gibt es, wie das Institut der deutschen Wirtschaft mit Sitz in Köln festgestellt hat, in mitbestimmten Unternehmen auch deutlich weniger Streiks. Auch das ist kein unwichtiges Moment. Ich glaube, dass die Sozialpartner gemeinsam die Verantwortung dafür tragen, dass auch in Zukunft in einem konsensorientierten Handeln für gute Arbeitsbedingungen vorgegangen wird und der soziale Frieden gewahrt bleibt.
Allerdings ziehen am Horizont graue Wolken auf. Die Digitalisierung führt dazu, dass gerade Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Ängste vor Arbeitsplatz- und Jobabbau haben. Alleine deswegen müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie wir in der durch die Digitalisierung veränderten Arbeitswelt – Stichworte „Arbeit 4.0“ und „Wirtschaft 4.0“ – das Betriebsverfassungsgesetz fit für die Zukunft machen, wie wir es auf Bundesebene reformieren.
Ich sage: Ja, es ist so, dass durch die Digitalisierung viele Arbeitsplätze wegfallen werden, gerade in der Automobilindustrie. Aber es entstehen eben auch neue! Welcher Faktor am Ende größer ist, der Jobabbau durch die Digitalisierung oder die Schaffung neuer Jobs in anderen Geschäftsbereichen, beispielsweise in der Batteriezellenfertigung, muss die Zukunft zeigen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass das Betriebsverfassungsgesetz diese Herausforderung aufnimmt.
Ich will ein paar Beispiele nennen. Durch die Digitalisierung der Arbeitswelt kommt es in vielen Bereichen zu einer massiven Arbeitsverdichtung. Andererseits entfallen häufig körperliche Belastungen. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit immer mehr verloren geht. Stichwort: „ständige Erreichbarkeit“. E-Mails um 23 Uhr noch zu beantworten, ist heutzutage keine Seltenheit mehr.
Die moderne Form der Sklaverei heißt heute Crowdworking und Clickworking. Und manchmal auch Homeoffice, wenn es in Kombination mit Homeschooling stattfindet – aber das nur als kleiner Scherz am Rande. Crowdworking und Clickworking sind moderne Formen der Dienstleistung, bei denen man Menschen über Online-Plattformen im Grunde genommen ausbeutet, die sich zu einzelnen Dienstleistungen berufen fühlen und ihre Arbeitskraft für diese einzelnen Dienstleistungen anbieten, ohne dass sie überhaupt durch das Betriebsverfassungsgesetz und durch Betriebsräte geschützt sind. Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit sind dort deutlich schwerer zu kontrollieren. Die Digitalisierung wirft hier die Frage auf, wie man den Arbeitsschutz gewährleisten und die etablierten Standards beibehalten kann. Wir haben in unserem Antrag Vorschläge gemacht. Es fängt an mit dem Begriff „Betrieb“.
Vizepräsident Frank Oesterhelweg:
Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte! Ich wollte Sie nicht unterbrechen, sondern wollte darauf warten, dass Sie irgendwann einmal Luft holen. Aber diesen Augenblick habe ich verpasst. Der Kollege Bode möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Darf er das?
Frank Henning (SPD):
Herr Bode, bitte schön!
Jörg Bode (FDP):
Vielen Dank, Herr Kollege Henning. Ich wollte mich nur vergewissern, dass ich es richtig verstanden habe, was Sie vorhin gesagt haben. Haben Sie Crowdworking und Clickworking wirklich als Sklaverei bezeichnet?
Frank Henning (SPD):
Ja, Herr Bode, als moderne Form der Sklaverei, weil für diese Form der Arbeit das Betriebsverfassungsgesetz nicht gilt und auch der Betriebsrat nicht zuständig ist. Ich empfinde das so, ja.
Wir kommen deshalb zu folgenden Forderungen, die wir durch unsere Landesregierung auf Bundesebene prüfen lassen wollen: Zum einen geht es um den Begriff „Betrieb“, weil gerade Clickworker und Crowdworker eben nicht im Betrieb arbeiten. Wir müssen den Betriebsbegriff im Betriebsverfassungsgesetz also offensichtlich neu definieren, damit Betriebsräte auch für diese Form der Arbeit zuständig sind, damit wir auch dort Mitbestimmungstatbestände haben, sodass sich der Betriebsrat entsprechend einsetzen kann.
Das Gleiche gilt für das Recht auf Nicht-Erreichbarkeit, meine Damen und Herren. Ich habe eben deutlich aufgezeigt, dass die ständige Erreichbarkeit, das Verwischen von Arbeitszeit und Freizeit auf Dauer nicht hinnehmbar sind. Ich glaube, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an dieser Stelle einen Schutz haben müssen und auch mal nicht erreichbar sein dürfen.
Das Dritte ist der Beschäftigten-Datenschutz. Auch da müssen wir Mitarbeitende schützen, beispielsweise vor Facebook-Posts der eigenen Kolleginnen und Kollegen, die dann durch den Arbeitgeber ausgewertet werden können. Hier brauchen wir ein Verwertungsverbot.
Und der letzte Punkt – den ich eigentlich als den wichtigsten erachte –: Gerade die Digitalisierung führt zur Notwendigkeit lebenslangen Lernens. Da brauchen wir ein Initiativrecht des Betriebsrats auf Weiterbildung, einerseits für die Beschäftigten, aber auch für den Betriebsrat selbst. Nun wird die FDP gleich wieder sagen: „Das gibt es doch alles schon. Die Unternehmen haben ja auch ein Interesse daran, dass Weiterbildung im Betrieb stattfindet, weil man qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer braucht.“ Aber wenn Sie mal in die Praxis gucken, lieber Herr Bode, dann sehen Sie, dass es gerade nicht so ist.
Es ist wichtig, dass die Betriebsräte ein solches Initiativrecht haben, um dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten, aber auch die eigenen Betriebsräte weitergebildet werden. Gerade im Zeitalter des lebenslangen Lernens ist das aus meiner Sicht unerlässlich.
Der letzte Punkt, zu dem ich mich gerne bekennen will: Wir haben in unserem Antrag darauf hingewiesen, dass öffentliche Unternehmen auch bei der Tarifbindung eine Vorbildfunktion einnehmen sollen.
Da hätten wir uns gerne mehr gewünscht – ich spreche hier das Tariftreue- und Vergaberecht an –, aber auch da muss ich – in diesem Fall den Kollegen der Grünen – auf unsere Anhörung hinweisen. Wir hatten ursprünglich die Formulierung drin, dass man bei der öffentlichen Auftragsvergabe die Tarifbindung vorgeben soll. Aber das geht nach allen uns vorliegenden Informationen und auch durch die neue EU-Entsenderichtlinie leider nicht. Das haben die Juristen der Staatskanzlei, aber auch des Wirtschaftsministeriums sehr gut herausgearbeitet. Und auch in den Anhörungen, die wir durchgeführt haben – auch von Professor Krause –, ist am Ende deutlich geworden, dass das heutzutage leider noch nicht geht.
Mithin wollen wir es bei dem allgemeinen Appell belassen, dass öffentliche Unternehmen der Tarifbindung unterliegen und da natürlich eine Vorbildfunktion übernehmen sollten. Ich könnte mir da mehr vorstellen, wenn die europäische Gesetzgebung eine andere wäre. Aber das kriegen wir hier nicht geregelt, und schon gar nicht im Betriebsverfassungsgesetz.
Meine Redezeit ist abgelaufen. Vielen Dank.