15. Juli 2020

Zweite Rede zu Entschädigungen für Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz

Plenarrede vom 15. Juli 2020

Videomitschnitt der Rede

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Foto Plenarrede

Text der Rede

Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Bundesinfektionsschutzgesetz sieht, geregelt in § 56, Entschädigungen für Einkommensverluste von im Wesentlichen zwei Fallgestaltungen vor.

Einmal betrifft das den Fall des sogenannten Störers – ein seltsamer Begriff, aber das Gesetz benutzt ihn. Das sind infizierte Menschen, die aus dem Geschehen in die Quarantäne entlassen werden und für Einkommensverluste aufgrund dieser – in Anführungszeichen – Leistung für die Allgemeinheit, keinen anderen mehr zu infizieren, entschädigt werden.

Der zweite Fall betrifft die Fallgestaltung, dass Eltern ihre Kinder betreuen müssen und dadurch Einkommensverluste oder Einkommensminderungen erleiden. Das ist vor Kurzem auf Initiative unserer Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in das Gesetz aufgenommen worden. Das ist sicherlich eine gute Maßnahme. Wenn man sich das Bundesgesetz weiter ansieht, stellt man aber fest: Weitergehende Regelungen hat der Bund bewusst nicht treffen wollen, zumindest hat er sie nicht getroffen, ob es bewusst war, weiß ich nicht.

Ich stelle nur fest – das haben wir auch im Ausschuss geklärt –, dass das Land natürlich eigenständige Regelungen und Tatbestände zu weiteren Entschädigungsleistungen schaffen kann, die der Bund nicht vorgesehen hat. Man kann das tun – die Frage ist aber, ob das sinnvoll ist. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Gesetzentwurf der FDP an dieser Stelle nicht sinnvoll ist.

Warum ist er nicht sinnvoll? Im Prinzip aus zwei Gründen. Der erste Grund ist: Das ganze Konstrukt ist äußerst bürokratisch und völlig kompliziert. Ich habe schon einmal vor längerer Zeit hier im Plenum gesagt, dass das „ein bürokratisches Monster“ ist, Herr Bode. Und das ausgerechnet von der FDP! Wir unterhalten uns ja oft über Bürokratieabbau – ich glaube, Ihr Gesetzentwurf ist ein klarer Fall für die Stabsstelle Bürokratieabbau. Ich habe mich schon im letzten Plenum und auch im Ausschuss dazu geäußert, wie die Berechnungsmodalitäten in Ihrem Gesetzentwurf geregelt sind; ich habe mich damit lange beschäftigt.

Ich kann nur feststellen: Die Finanzverwaltung, die sich damit zusätzlich zur Veranlagung zur Einkommensteuer, zur Umsatzsteuer und zur Körperschaftssteuer befassen soll, wird damit überfordert sein. Diese personellen Ressourcen haben wir nicht. Dafür sind der Berechnungsmodus und die Informationen, die Sie zur Berechnung des Schadens erfassen wollen, einfach zu umfangreich.

Warum eigentlich 75 % des entgangenen Umsatzes? So haben Sie es definiert. – Ich gehe nach der Berechnung von 75 % des entgangenen operativen Gewinns aus. Aber auch das, was Sie damit genau meinen, haben wir im Ausschuss letztlich nicht klären können.

Ich jedenfalls halte die Entschädigungsgrenze von 75 % für völlig willkürlich gewählt. Sie unterscheiden noch zwischen vorsteuerbehafteten und nicht vorsteuerbehafteten Aufwendungen. Sie wollen der Finanzverwaltung zumuten, Löhne und sonstige Betriebsausgaben umfangreich zu ermitteln, um letztlich allen Unternehmen in diesem Land nach einer komplizierten Formel 75 % des operativen Gewinns zu erstatten.

Noch einmal: Was Sie dafür an Informationen brauchen – Löhne, vorsteuerbehaftet, nicht vorsteuerbehaftet, Sachkostenaufwendungen etc. –, bedarf umfangreicher Ermittlungen. Das kann die Finanzverwaltung nicht leisten – es sei denn, Sie sagen, die Steuererklärungen der FDP oder der sonstigen Bürger in diesem Land werden zeitlich zurückgestellt und man zieht lieber die Berechnung vor, die nach dem Infektionsschutzgesetz vorgenommen werden soll.

Das kann nicht ernst gemeint sein. Die Finanzverwaltung hat andere Aufgaben. Es ist an dieser Stelle schlicht falsch angesiedelt. Es müsste möglicherweise durch das Gesundheitsamt oder wen auch immer geregelt werden, aber nicht durch die Finanzverwaltung; denn die schafft es mit Blick auf die personelle Ausstattung schlicht nicht.

Unklar ist auch die Finanzierung. Das ist der zweite Grund, aus dem wir den Gesetzentwurf ablehnen. Sie schreiben im Gesetzentwurf, dass Sie selbst nicht wissen, was die Umsetzung des Gesetzes eigentlich kosten würde. Das ist zwar eine offene und ehrliche Aussage, sie ist aber aus meiner Sicht finanzpolitisch nicht besonders klug oder sinnvoll. Ich bin es gewohnt, dass man, wenn man Gesetzentwürfe vorlegt, klar definiert, was der Spaß kostet.

Sie selbst haben gegenüber dem NDR von Erstattungen in Höhe von 1 Milliarde Euro gesprochen. Ich habe das mal allein anhand der DEHOGA-Betriebe ausgerechnet. Ich will Sie damit nicht langweilen – ich habe das schon im letzten Plenum vorgerechnet –, aber es gibt 20.000 DEHOGA-Betriebe, die ungefähr 6,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr haben. Bei einer Schließung von zwei Monaten aufgrund einer behördlichen Anordnung kommt man auf ungefähr 800.000 Millionen Euro Entschädigungsanspruch nur der DEHOGA-Betriebe.

Das heißt, Herr Bode, mit Ihrer 1 Milliarde Euro kommen Sie bei weitem nicht hin. Damit werden gerade mal die DEHOGA-Betriebe abgedeckt. Das sind 20.000 Betriebe. Es gibt aber allein in Niedersachsen 300.000 Betriebe. All diese bringen Sie damit grundsätzlich in die Position, Entschädigungszahlungen in Anspruch nehmen zu können, wenn sie aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen waren. Das sind eine ganze Menge Betriebe. Mit anderen Worten: Ihr Gesetzentwurf ist letztlich weder seriös durchgerechnet noch finanziell fürs Land leistbar.

Wir haben in der Unterrichtung des Ausschusses durch das MW am 19. Juni erfahren, dass auch das Ministerium anhand von Schätzzahlen versucht hat, Ihre 1 Milliarde Euro zu überprüfen; ich hatte das beantragt. Ich fasse kurz zusammen – der Kollege Schatta von der CDU hat eben auch schon dazu ausgeführt –: Wenn man die Corona-Soforthilfen als Maßstab nimmt, wird man im Zeitraum von April bis Juni 2020 auf 1 Milliarde Euro kommen. Hinzu kommt der Umsatzschaden im Tourismus, den das MW mit 2,1 Milliarden Euro angegeben hat. Der Einzelhandel ist aufgrund behördlicher Anordnung auch geschlossen: 2,3 Milliarden Euro. Der Dienstleistungsbereich: 2,2 Milliarden Euro.

Um es kurz zu machen: Am Ende sind wir bei ungefähr 8 Milliarden Euro Entschädigungsansprüchen der Wirtschaft hier in Niedersachsen. Das ist schlicht nicht leistbar. Es ist auch nicht sinnvoll, weil es – wir haben es schon häufiger diskutiert – eine Doppelstrategie der Landesregierung gibt. Besser als jede Entschädigungszahlung ist es, dass die Corona-Verordnung gelockert wird – was ja in der letzten Zeit geschehen ist –, dass man den Shutdown beendet und die Unternehmen in die Lage versetzt, Umsätze und Gewinne zu erwirtschaften, um sich sozusagen selbst aus der Misere zu ziehen. Das ist der erste Weg. Diesen hat die Landesregierung schon lange beschritten.

Was – zweitens – die Entschädigungsleistungen betrifft: Wir haben im Rahmen der NBank Soforthilfen geleistet, mit Maßnahmen von Bund und Land, durch KfW-Kredite, aber eben auch durch Kredite der NBank. Ich glaube, dass wir allein mit unserem Gesetzentwurf zum heute beschlossenen zweiten Nachtragshaushalt im Umfang von 8 Milliarden Euro ein hohes Maß an Entschädigungsleistungen vorgegeben haben.

Alles das ist meines Erachtens deutlich besser als das, was Sie mit Ihrem Gesetzentwurf vorgelegt haben. Mehr ist also nicht leistbar. Wir sehen keinen Bedarf für Ihren Gesetzentwurf.

Ich habe meine Redezeit überschritten.

Vielen Dank.