12. September 2019
Rede zur Qualifizierung von Geflüchteten zu Lokführerinnen und Lokführern und Fachkräften
Plenarrede vom 12. September 2019
Videomitschnitt der Rede
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Text der Rede
Es gilt das gesprochene Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
42 % der Zugausfälle sind auf Lokführermangel zurückzuführen. Ich finde, das ist eine erschreckende Zahl. Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: Der Antrag der Grünen zielt in die richtige Richtung.
Und Herr Henze vom äußerst rechten Rand dieses Hauses: Ich weiß gar nicht, was für ein Problem Sie eigentlich damit haben, wenn 45 Flüchtlinge in Baden-Württemberg als Lokführer eingestellt werden. Ich finde, hier hilft jede Maßnahme, und wenn es auch nur 45 Flüchtlinge sind. Wo ist das Problem?
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Wir haben hier einen eklatanten Fachkräftemangel. Wir haben ihn allerdings nicht nur im Bereich der Lokführer – wir haben ihn im Bereich der Pflege, wir haben ihn im Bereich der Kliniken.
Vizepräsidentin Petra Emmerich-Kopatsch:
Herr Kollege Henning, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Henze?
(Axel Brammer [SPD]: Nein!)
Frank Henning (SPD):
Ach, bitte! Ich bin gespannt.
Stefan Henze (AfD):
Herr Henning, vielen Dank für das Zulassen der Frage. Ich sehe das nicht bezogen auf bestimmte Gruppen von Menschen, sondern ich sehe das bezogen auf Kosten an der Stelle.
(Zurufe von der SPD: Frage!)
Wo ist denn bei Ihnen die Schallgrenze? Was darf solch ein Platz kosten, um jemanden auszubilden? Wir wollen ja auch ein bisschen wirtschaftlich bleiben.
Frank Henning (SPD):
Wenn ich den grünen Antrag richtig verstanden habe, geht es darum – darüber reden wir natürlich gleich im weiteren Verlauf der Diskussion –, wie wir das Ganze finanzieren. Aber es gibt natürlich nicht nur Steuermittel. Ich glaube nicht, dass wir Landesmittel dort hineinfließen lassen müssen. Es gibt jede Menge Mittel der Bundesanstalt für Arbeit, die übrigens nicht nur für Geflüchtete zur Verfügung gestellt werden, sondern für alle Arbeitslosenqualifizierungsmaßnahmen. Wir haben auf Bundesebene ein Langzeitarbeitslosigkeitsbekämpfungsprogramm, für das allein 4 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Es gibt jede Menge Finanzmittel – und zwar unabhängig davon, ob man geflüchtet ist oder schon länger hier lebt –, um solche Qualifizierungsmaßnahmen zu bezahlen, um Langzeitarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel zu beseitigen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ich weiß wirklich nicht, wo Ihr Problem ist. Wir haben z. B. im Bereich der Pflege – um darauf zurückzukommen – einen eklatanten Fachkräftemangel, der in der Regel dadurch gemildert wird, dass wir viele Ärzte mit Migrationshintergrund in den Kliniken haben. Das ist auch gut so. Ich weiß nicht, wo da eigentlich Ihr Problem liegt. Aber ich kann Sie beruhigen: Wenn es tatsächlich Geflüchtete im Lokführerberuf gibt, sitzen die vorne auf dem Lokführerstand. Die tun nicht weh. Die sehen Sie auch gar nicht. Die fahren Sie nur von A nach B. Und das ist auch gut so, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)
Aber zurück zum Thema. Der rechte Rand dort drüben wird es sowieso nicht begreifen. Ich will mich damit auch gar nicht weiter auseinandersetzen. Ich möchte mich mit dem Antrag der Grünen auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren, ich habe ja schon gesagt, dass die Zielrichtung richtig ist. Ich glaube aber, dass diese Initiative nicht neu ist. Ich möchte auf unseren Antrag vom letzten Jahr verweisen. Die die Regierung tragenden Fraktionen von SPD und CDU haben – ich verweise auf die Drucksache 18/1535 – die Landesregierung bereits im September des letzten Jahres aufgefordert, sich mit den Speditions-, Logistik- und Verkehrsverbänden zusammenzusetzen, ein Konzept zu entwickeln und konkrete Schritte zur Gewinnung von Fachkräften einzuleiten, insbesondere auch beim Fahrpersonal bei den Lokführern.
(Christian Meyer [GRÜNE]: Und was ist seitdem passiert?)
Das hat das Ministerium für Wirtschaft dankenswerterweise bereits getan. Deswegen fordern die Grünen unter Punkt 1, dass die Ergebnisse der Arbeitsgruppe, die Minister Althusmann eingesetzt hat – übrigens aufgrund unserer damaligen Initiative –, im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr dargestellt werden. Damit habe ich kein Problem, Herr Schulz-Hendel. Das werden wir natürlich mittragen. Nur ein kollegialer Hinweis: Den Punkt 1 Ihres Antrages hätten Sie gar nicht in einem Entschließungsantrag verarbeiten müssen. Das hätten Sie auch so beantragen können. Unterrichtungen gibt es jederzeit im Ausschuss. Dann kann auch dargestellt werden, was die Landesregierung bereits für die Bekämpfung des Fachkräftemangels getan hat.
Vizepräsidentin Petra Emmerich-Kopatsch:
Herr Kollege, Herr Schulz-Hendel würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Frank Henning (SPD):
Lassen Sie mich das eben ausführen. Dann kann die Zwischenfrage gleich im Anschluss gestellt werden.
Der Punkt 2 Ihres Antrages bildet ja den Kernbereich. Wir sollen eine Ausbildungsoffensive für Geflüchtete auf den Weg bringen, die in einem geklärten Aufenthaltsstatus hier im Land leben und über hinreichend gute Deutschkenntnisse verfügen. Da sind wir, glaube ich, im Grundsatz bei Ihnen. Wir müssen die Finanzierung klären. Ich habe das gerade schon angedeutet.
Ich will dabei auch nicht verschweigen, dass der Lokführerberuf natürlich ein hoch qualifizierter Beruf ist. Ich habe mir einmal die Voraussetzungen angeguckt: Neben dem gesicherten Aufenthaltsstatus – die Verfahren müssen abgeschlossen sein – muss das Sprachniveau B 2 oder besser sein, vorwiegend wird B 1 gefordert, auch in Baden-Württemberg. Es muss eine gute körperliche und psychische Gesundheit vorliegen. Es muss eine vor allem technische Vorbildung vorliegen. Gerade wer Lokführer werden will, sollte in der Regel vorher eine Schlosserausbildung oder eine andere technische Ausbildung gemacht haben. Da wird es möglicherweise bei dem einen oder anderen Geflüchteten Probleme geben. Aber ich will das nicht schlechtreden. Ich glaube, hier gibt es jede Menge Geflüchtete, die diese Qualifikationen mitbringen, sodass wir mit ihnen diesem Fachkräftemangel zumindest zum Teil begegnen können.
Zum Punkt 3: Natürlich sind wir dabei, die Gewerkschaften einzubinden. Ich wäre der Letzte, der die Gewerkschaften nicht einbinden wollte. Auch da sind wir bei Ihnen. Wenn wir es denn schon prüfen, muss das Ganze natürlich auch auf den Bereich der Busfahrerinnen und Busfahrer übertragen werden. Es muss zumindest geprüft werden, unter welchen Voraussetzungen. Wir sind also auch bei Punkt 5 durchaus bei Ihnen.
Wo wir allerdings nicht bei Ihnen sind – das muss ich ganz ehrlich sagen –, ist der Punkt 4. Das geht schlicht nicht. Darüber müssen wir im Ausschuss – möglicherweise im Rahmen eines Änderungsantrages – noch einmal reden. Unter Punkt 4 fordern Sie, die Qualifizierung mithilfe von Zuschusskürzungen zu finanzieren. Das geht schlicht rechtlich nicht. Das haben wir checken lassen. Es handelt sich bei den Zuschusskürzungen, die ja die Landesnahverkehrsgesellschaft vornimmt, um Regionalisierungsmittel, die nicht ohne Weiteres in solche Coaching- und Traineeprogramme gesteckt werden dürfen. Das heißt, wir brauchen andere Finanzierungswege.
Um übrigens noch einmal die Dimension deutlich zu machen: 42 % der Zugausfälle wegen fehlender Lokführer haben dazu geführt, dass die LNVG im Jahr 2018 insgesamt in einer Größenordnung von 3,2 Millionen Euro Zuschusskürzungen bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen vorgenommen hat. Das zeigt, wie eklatant dieses Problem ist. Insofern, glaube ich, sollten wir gemeinsam vorgehen, egal ob es Ihr Antrag ist, Herr Schulz-Hendel, oder ob es die Initiative von SPD und CDU aus dem letzten Jahr ist, bei der die Landesregierung schon vorgearbeitet hat. Am Ende müssen wir da an einem Strang ziehen und versuchen, diesen Fachkräftemangel zu beseitigen.
Ich sage an dieser Stelle aber auch sehr deutlich: Wir können es begleiten, aber verantwortlich sind immer noch die Eisenbahnverkehrsunternehmen. Sie sind verantwortlich für Ausbildung, für Qualifizierung und vor allen Dingen für die Bezahlung. Da bin ich bei meinem Lieblingsthema: Wenn die Lokführerinnen und Lokführer besser bezahlt würden, wäre ein Teil des Problems schon gelöst. Denn dort haben wir auch ein Problem. Ich nenne nur die Stichworte „Tarifautonomie“, „vernünftige Tarifverträge“, „vernünftige Bezahlung“. Also auf Deutsch: Bezahlt die Lokführer vernünftig! Dann werdet ihr auch Lokführer finden.
(Beifall bei der SPD)
– Vielen Dank.
Ich kenne jede Menge Beispiele von Lokführerinnen und Lokführern, die sich nach Österreich wegbeworben haben, weil dort schlicht die Bezahlung besser ist. Da sind dann auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen und die Tarifpartner in der Verantwortung und eben nicht die Landesregierung. Trotzdem glaube ich, dass wir richtig liegen, wenn wir hier öffentliche Fördermittel einsetzen, um das zu begleiten.
Zu den Haushaltsmitteln: Wir haben zum einen nach der Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit erhebliche Fördermöglichkeiten auf Basis des Qualifizierungschancengesetzes, mit denen man die Weiterbildung von Beschäftigten bezuschussen kann. Dafür braucht man nicht unbedingt Landesmittel.
Wir haben auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion – das will ich noch einmal in Richtung AfD sagen – das Fachkräftezuwanderungsgesetz verabschiedet. Das Fachkräftezuwanderungsgesetz, das ja gerade Fachkräfte aus dem Ausland anwerben hilft, wäre eine wichtige Maßnahme, die die SPD im Bund angestoßen hat, um Menschen aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, um unseren Mangel hier in bestimmten Mangelberufen zu beseitigen. Auch wenn Sie Angst vor Zuwanderung haben, meine Damen und Herren vom rechten Rand,
(Glocke der Präsidentin)
da sehen Sie mal wieder, wie wichtig Zuwanderung ist, weil wir nämlich im Bereich der Pflege und der Lokführer selbstverständlich ausländische Fachkräfte brauchen.
Last, but not least – ich sehe, meine Redezeit läuft ab –: Wir haben tatsächlich auch noch Landesmittel. SPD und CDU haben nämlich bei den letzten Haushaltsberatungen über die politische Liste 3 Millionen Euro für Maßnahmen zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen bereitgestellt.
Vizepräsidentin Petra Emmerich-Kopatsch:
Herr Kollege Henning, kommen Sie bitte jetzt zum Schluss!
Frank Henning (SPD):
Nach meiner Recherche ist das Geld bisher nur zum Teil verausgabt worden. Da gibt es noch Mittel, die wir dafür sinnvoll einsetzen können. Ich glaube, Herr Althusmann ist da auch schon dran.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wir werden das im Ausschuss weiter beraten.
(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Christian Grascha [FDP])
Vizepräsidentin Petra Emmerich-Kopatsch:
Nun hat sich Herr Kollege Schulz-Hendel zu einer Kurzintervention gemeldet.
Detlev Schulz-Hendel (GRÜNE):
Das war zu einer Zwischenfrage, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Henning, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie sprachen von der Initiative von SPD und CDU, dass mit den Spediteuren und Verkehrsunternehmen über die Beseitigung des Fachkräftemangels gesprochen werden soll. Meines Erachtens steht da nichts von Lokführern, aber das ist jetzt nur zweitranging.
Vizepräsidentin Petra Emmerich-Kopatsch:
Wenn es eine Frage ist, dann stellen Sie sie bitte!
Detlev Schulz-Hendel (GRÜNE):
Und jetzt die Frage: Können Sie mir sagen, mit Zahlen hinterlegt, wie erfolgreich diese Initiative bis zum heutigen Tage ist? Inwieweit konnte der Fachkräftemangel durch Ihre Initiative bis zum heutigen Tage beseitigt werden?
(Zustimmung von Christian Meyer [GRÜNE])
Frank Henning (SPD):
Herr Schulz-Hendel, wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie festgestellt, dass ich das eben schon beantwortet habe. Ich habe gesagt: Aufgrund unserer Initiative aus dem letzten Jahr ist die Landesregierung tätig geworden. Sie hat sich mit den Verkehrsunternehmen im Ministerium für Arbeit und Wirtschaft zusammengesetzt. Vertreterinnen und Vertreter des Verkehrsgewerbes, der Regionaldirektion, der Bundesagentur für Arbeit waren dabei und haben das Problem andiskutiert und versucht, Lösungen zu finden. Sie sind gerade dabei, das Problem des Fachkräftemangels sowohl hinsichtlich des Zugpersonals als auch anderer Bereiche anzugehen. Ich kann Ihnen dazu keine konkreten Zahlen nennen, weil wir ja gerade erst angefangen haben. Aber lassen Sie uns doch jetzt nicht darüber streiten, wer hier die Urheberschaft hat!
(Detlev Schulz-Hendel [GRÜNE]: Nein, ich wollte das nur wissen!)
Lassen Sie uns das gemeinsam angehen! Ich glaube, wir brauchen sie. Ich meine, dass es noch keine konkreten Ergebnisse gibt. Aber das kann Herr Althusmann viel besser beantworten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Christian Grascha [FDP])