15. Juli 2020
Rede zum stationären Einzelhandel und Sonntagsöffnungen in Corona-Zeiten
Plenarrede vom 15. Juli 2020
Videomitschnitt der Rede
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Text der Rede
Es gilt das gesprochene Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Umsatzeinbrüchen begegnen – stationären Einzelhandel in Niedersachsen stärken“. Ja, es stimmt, da sind wir uns einig: Der innerstädtische Einzelhandel steht vor großen Problemen, und das nicht erst seit Corona, sondern schon lange Zeit davor. Onlinehandel macht stationärem Einzelhandel schwer zu schaffen. Man sieht es täglich auf der A 2: Die rechte Spur ist zum Warenlager verkommen.
Jüngstes Beispiel: Galeria Kaufhof-Filialen in Hannover, Braunschweig und Osnabrück sollen geschlossen werden. 300 Arbeitsplätze sind allein in diesen Großstädten in Gefahr. Bundesweit sind 6.000 Arbeitsplätze betroffen. Dazu kommt zusätzlich Corona: Umsatzeinbrüche, Shutdown, Kurzarbeit.
Ich kann also die 16 Oberbürgermeister niedersächsischer Groß- und Kleinstädte sehr gut verstehen, wenn sie sich in einem Offenen Brief an unseren Ministerpräsidenten Stephan Weil für die Rettung der Innenstädte starkmachen und natürlich auch auf die Situation des Einzelhandels verweisen. Auch aus Arbeitnehmersicht kann eine weitere Öffnung an Sonntagen durchaus sinnvoll sein: Angst vor Arbeitsplatzverlust, Kurzarbeit, deutlich weniger Geld. Ich kann verstehen, dass auch Arbeitnehmer zusätzlich an Sonntagen Geld verdienen wollen.
Meine Damen und Herren, das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Einerseits gibt es die Oberbürgermeister und die Mitarbeiter – etwa im Textileinzelhandel –, die durch den Lockdown und Gehaltseinbußen schwer mit diesen Schließungen zu kämpfen haben. Andererseits gibt es aber auch die Verkäuferinnen im Lebensmitteleinzelhandel, die über Monate Überstunden gemacht, sich den genervten Kunden gestellt und einer erhöhten Virusgefahr ausgesetzt haben. Diese Verkäuferinnen sollen nun zum Dank zusätzlich auch noch am Sonntag arbeiten. Das sind zwei Seiten einer Medaille, meine Damen und Herren, die es sorgfältig abzuwägen gilt.
Zweifel, meine Damen und Herren, sind angebracht. Der Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Maskenpflicht macht keine Lust auf Einkaufen. Und wo soll eigentlich die zusätzliche Kaufkraft herkommen? Die Mehrheit der Arbeitnehmer bekommt zurzeit 60 % Kurzarbeitergeld.
Vor diesem Hintergrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, sage ich Ihnen sehr deutlich, was mit der SPD-Landtagsfraktion nicht zu machen ist: Wir werden keiner Änderung des Ladenschlussgesetzes zustimmen. Anlasslose Sonntagsöffnungen wird es mit uns nicht geben. An dieser Stelle muss ich die 16 Oberbürgermeister leider enttäuschen.
Das Gesetz, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, aber auch unsere Verfassung – Herr Bode hat es sehr richtig dargestellt – sind eindeutig. Der Sonntagsschutz hat Verfassungsrang. Die Ladenöffnung an einem Sonntag ist nur dann gerechtfertigt, wenn es einen hinreichenden Sachgrund, also einen Anlass dazu gibt. Das wirtschaftliche Interesse der Unternehmen oder auch das Shopping-Interesse einzelner Kunden genügen da nicht. Daran werden wir als SPD-Fraktion nicht rütteln, meine Damen und Herren.
Etwas anderes sind freiwillige Vereinbarungen, wenn Kommunen, Gewerkschaften und Arbeitnehmer sich einig sind. Herr Minister Althusmann, ich spreche Sie direkt an: Warum greifen Sie den Ball von ver.di nicht auf? ver.di hat überhaupt kein Problem damit, am Sonntag anlässlich von Kunst- und Kulturveranstaltungen zu öffnen, die z. B. auch den Corona-Kriterien genügen: Abstand, kleinere Veranstaltungen und weniger Menschen.
Der Töpfer-Markt in Leer ist ein gutes Beispiel dafür. Anlässlich des Töpfer-Marktes in Leer wurden die Geschäfte mit Zustimmung von ver.di auch am Sonntag geöffnet. Es geht, wenn man sich auf kommunaler Ebene einig ist. Man muss halt miteinander reden, meine Damen und Herren. Das ist letztendlich auch im Interesse des Einzelhandels vor Ort. Denn was nützt eigentlich den Einzelhändlern vor Ort, die mit großem Aufwand Sonntagsöffnungen vorbereiten, wenn ver.di dann dagegen klagt und eine gerichtliche Untersagung in letzter Minute vor der geplanten Sonntagsöffnung eingeht? Das hilft niemandem.
Noch einmal, Herr Minister Althusmann: Greifen Sie den Ball von ver.di auf! Kommen Sie zu freiwilligen, einvernehmlichen Einigungen! Kreieren wir gemeinsam Anlässe, um Sonntagsöffnungen mit gesetzlicher Zustimmung zu erreichen!
Herr Minister, ich sage Ihnen auch als Vertreter der SPD-Fraktion, die sich den Schutz der Arbeitnehmerrechte und die gute Arbeit auf die Fahnen geschrieben hat: Mir ist schleierhaft, wie man in dieser Situation, wo man doch bei Sonntagsöffnungen auf das Wohlwollen von ver.di angewiesen ist, ver.di derartig vor den Kopf stoßen kann. Ich spreche die Verfügung vom Montag an, mit der Sie den Dumpinglohn-Tarifvertrag zwischen GVN und GÖD anerkannt haben.
Das Tariftreuegesetz wird dazu ausgehebelt. Es wird weniger als 50 % Lohndifferenz hoffähig gemacht. Das kann nicht das Vertrauen von ver.di und auch nicht das Vertrauen – das sage ich hier sehr deutlich – der größten Fraktion hier im Hause finden, Herr Dr. Althusmann. Wir haben hier ein Problem miteinander. Das werden wir gemeinsam miteinander besprechen müssen. Ich halte das für eine krasse Fehlleistung an der Stelle.
Vielen Dank.