17. April 2010

Rede auf dem SPD-Unterbezirksparteitag vom 17. April 2010

Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

ich bin dankbar, dass ich euch heute nicht nur die herzlichen Grüße unserer Stadtratsmitglieder ausrichten kann, sondern zugleich die Gelegenheit dazu bekomme, wichtige Punkte sozialdemokratischer Kommunalpolitik anzusprechen.

Bevor ich zur Bilanz und zum Ausblick unserer Ratsarbeit komme, gestattet mir bitte eine Vorbemerkung in eigener, ganz persönlicher Sache:

Ich danke euch nämlich, dass hier und heute nicht so viele mit Schienbeinschützern oder mit dicken Gummistiefeln angereist sind. Wieso das? Ihr habt es ja in der Zeitung gelesen: Der CDU-Fraktionsvorsitzende, Herr Dr. Fritz Brickwedde, hat mich als „Wadenbeißer“ bezeichnet. Das stand so nicht nur auf dem Papier, sondern flimmerte inzwischen auch auf den Monitoren unserer Stadtbusse als ganz wichtige Meldung.

Ihr könnt das sicher verstehen: Der Vorwurf hat mich natürlich ganz tief erschüttert! Ich habe mich sofort irritiert und mit Tränen in den Augen ins Internet geflüchtet, um nachzulesen, was ein Wadenbeißer eigentlich ist. Ich darf euch das vielleicht einmal in kurzen Auszügen vorlesen.

Bei Wikepedia heißt es da dann sinngemäß:

„Der Gemeine Wadenbeißer oder Wadenzwicker ist ein hundeartiges Tier aus der Familie der Gemeinen Hunde. Gemeine Wadenbeißer werden immer öfter als Haustiere gehalten. Sie sind aber eigentlich den Raubtieren zuzurechnen. Der Wadenbeißer nämlich gehört zur Gruppe der Wutsauger.
Hat der Wadenbeißer sich für einen Wirt entschieden, lauert er ihm auf, schmeichelt ihm zunächst und schnappt dann hinterrücks zu. Sein Biss kann zu Abwehrreaktionen wie Wut, Entrüstung oder Aggression führen, die dem Wadenbeißer als emotionale Nahrung dienen.
Gern gesehen sind die putzigen Gesellen in der Nachbarschaft, unter Kollegen. Dort werden die Wadenbeißer liebevoll und artgerecht gehalten. Beschäftigung und kleine Neckereien animieren sie immer wieder auf’s Neue. Auf diese Weise sorgen sie für Gesprächsstoff und Unterhaltung. Gefüttert werden die Wadenbeißer in menschlicher Obhut mit gespielter Wut und Entrüstung.
Wadenbeißer gibt es vom zahnlosen Kläffer bis zum verwöhnten Luxus-Fiffi. Die zahnlosen Exemplare gesellen sich gern um Trinkhallen und Imbissbuden. Andere halten sich im gehobenen Milieu auf. Intellektuell anspruchsvolle Wadenbeißer entwickeln eine ausgeklügelte und perfide Technik, die sie zielgenau auf ihren Wirt abstimmen, und sind bereits mit dessen Stirnrunzeln zufrieden zu stellen.
Der Wadenbeißer ist er sehr sensibel und darf nie zu heftig provoziert werden, sonst verliert er das Interesse am Beuteverhalten und verkümmert.“

Tja, liebe Genossinnen und Genossen! Ich möchte mich an dieser Stelle also in Wahrheit ganz herzlich beim CDU-Fraktionsvorsitzenden bedanken.

Lieber Herr Dr. Brickwedde, ich darf Ihnen versprechen:
Ich halte mich weiter gern unter Nachbarn und Kollegen auf. Und Sie haben mich außerdem erfolgreich mit gespielter Wut, Entrüstung und Aggression gefüttert. Deshalb werde ich niemals verkümmern und werde mein Interesse am Beuteverhalten nicht verlieren!

Denn Beute, liebe Genossinnen und Genossen, ist in der Tierwelt bekanntlich die Voraussetzung zum Überleben.

In der menschlichen Gesellschaft reden wir natürlich – zum Glück – lange nicht mehr von Beute, sondern von Leistung und Belohnung.

Von Leistung haben wir im Rathaus eine ganze Menge vorzuweisen. Über die Belohnung freuen wir uns als gute Demokraten bei Wahlen.

Und wenn ich dann auf unsere gemeinsame Leistung im Rathaus gucke, dann schaue ich nicht verschämt auf meine Schuhspitzen, wenn ich sage: „Ich bin Osnabrücker Sozialdemokrat.“

Wir können nämlich alle offen in die Augen unserer Freunde, Kollegen und Nachbarn gucken und sagen: „Ja, wir sind Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Ja, wir tun was, und vor allem: Ja, wir halten, was wir versprechen!“

Lasst mich dazu einige beispielhafte Dinge anführen, denn das, was wir in Zukunft tun wollen, hängt ja untrennbar mit dem zusammen, was wir in den letzten Jahren gemacht haben.

Denn wir haben schon vor den letzten Kommunalwahlen gesagt:
Die von CDU und FDP geplante Bundesgartenschau ist viel zu teuer. Sie raubt uns jeden Spielraum.

Wir haben uns deshalb von diesem Mammutprojekt verabschiedet. Die weit über 100 Mio. Euro, die wir dazu als städtischen Anteil hätten zuschießen müssen, drücken uns zum Glück nicht mehr.

Schon ohne BuGa schieben wir – wie fast alle Städte in Deutschland – ein unverschuldetes Haushaltsloch von rund 200 Mio. Euro vor uns her. Die Buga hätte dieses Loch fast verdoppelt und uns endgültig handlungsunfähig gemacht. Wir wollten sie verhindern – wir haben sie verhindert.

Kurzum: Versprochen – gehalten.

Lasst mich andere Beispiele nennen:

– Nach dem Abzug der Briten versprachen wir die Entwicklung von guten ökologisch-sozialen Nachnutzungskonzepten. Die liegen jetzt allesamt vor und werden fleißig diskutiert.

– Wir versprachen ein umfassendes energetisches Sanierungsprogramm und die Stärkung erneuerbarer Energien.
Ihr braucht nur einmal auf Hausdächer oder auf den Piesberg zu blicken, um zu sehen, wie dieser Baustein zukünftiger Energiepolitik in unserem Stadtbild begonnen hat zu wachsen.

– Anderer Punkt: Wir haben die alte CDU-FDP-Ratsmehrheit immer für ihre Politik des „Freien Parkens“ kritisiert, weil wir kein Geldd dazu haben, stehendes Blech zu subventionieren. Viel sinnvoller ist es doch, mit dem so eingenommenen Geld Menschen im Alltag zu helfen.
Und wir haben Wort gehalten: Eine zumutbare Parkraumbewirtschaftung ist wieder eingeführt und die Einnahmen kommen anderen Projekten zugute.

– Wir haben versprochen, die Grünen Finger in Osnabrück zu schützen, denn sie bedeuten gute Luft und Naherholung. Wir sind stolz darauf, flächenfressende Bauvorhaben wie das an der Knollstraße im Papierkorb versenkt oder zumindest drastisch beschnitten zu haben.

– Wir haben massiv kritisiert, als die abgewählte Ratsmehrheit das von uns eingeführte Begrüßungsgeld für nach Osnabrück gezogene Studierende abgeschafft hat. Wir haben es wieder eingeführt und damit Bevölkerungsentwicklung und städtische Einnahmen gleichermaßen verbessert.

– Wir haben schon im Wahlkampf versprochen, den Osnabrück-Pass“ im Interesse vieler Mitbürger zu verbessern, um sie mehr als zuvor an Bildung, Freizeit und Kultur zu beteiligen. Wir haben dann endlich nach langen Debatten erreicht, dass es mehr Empfänger als zuvor und dass es neue Leistungen für sie gibt.

– Wir haben versprochen, den Besuch von Kindertagesstätten attraktiver zu machen. Deshalb sind wir stolz darauf, die Beitragsfreiheit für Geschwisterkinder für Kindertagesstätten und Krippen durchgesetzt zu haben – nebenher blieben auch die Beiträge annähernd stabil.

– Wir waren empört, als CDU und FDP das Kinderbüro abschafften. Wir haben es wieder eingerichtet.

Apropos Kinder: Wo immer uns die Menschen danach fragten, haben wir ihnen gesagt, dass uns mehr Gesamtschulen am Herzen liegen. Jetzt dürfen wir ab August stolz sein, wenn die zweite, diesmal Integrative Gesamtschule, im Stadtteil Eversburg an den Start geht.

Die große Zustimmung zeigt uns, dass diesem Beispiel gern noch weitere folgen dürfen.

– Im Kulturbereich war es uns stets ein Herzensanliegen, die Highlight- oder Biedermeier-Kultur von Konservativen und Liberalen zu beenden und ein neues offenes Klima zu schaffen.

– Jetzt haben die Künstler und freien Kulturträger mit uns feste verantwortliche Ansprechpartner im Rat, mit denen sie gemeinsam die kulturelle Vielfalt der Stadt sichern können.

– Vorbei sind auch die Zeiten, als die sogenannte Erinnerungskultur an Nazi-Verbrechen zu einer plumpen Pflichtübung verkam. Jetzt haben wir endlich mit breiter Bürgerbeteiligung das Projekt „Stolpersteine“ zur Erinnerung an die Nazi-Opfer durchgesetzt. Vertriebene und ermordete Mitbürger haben wir damit – zumindest symbolisch – wieder zu unseren hier einmal gleichberechtigt wohnenden Nachbarinnen und Nachbarn gemacht.

– Ein bedeutender Punkt ist ebenfalls mit der Kultur des aktiven Erinnerns verknüpft: Im gleichen Sinne, in dem das Felix-Nussbaum-Haus von Beginn an ein sozialdemokratisches Anliegen war, haben wir es erfolgreich hinbekommen, dass eben dieses Haus der Ermahnung und Erinnerung eine bauliche Erweiterung bekommt, die es noch anziehender und zugänglicher für immer neue Besuchergruppen macht.

Ein zentrales Ziel unserer Politik bleiben natürlich gesunde Finanzen, denn wir wissen: Ohne Moss ist nix los! Locker flockig gesagt: Auch Linke brauchen Pinke!

Denn ihr alle wisst: Wachsende Kosten im Sozialbereich, einbrechende Steuereinnahmen, die Ausführung von Gesetzen und die Beträge für die Deutsche Einheit reißen Löcher in unsere Kassen, die nicht wir, sondern ganz andere in Hannover und Berlin verschuldet haben.

Gucken wir auf das angehäufte Defizit von rund 200 Mio. Euro, wäre es wirklichkeitsfremd und widersinnig, zu fordern, jetzt müssten wir in schnellster Zeit so viel sparen, dass wir dieses Defizit auf Null setzen.

All dies untermauert von dem immer sehr beliebten Argument, wir könnten unseren Kindern und Kindeskindern keine Schuldenberge hinterlassen.

Als Vater zweier Kinder bin ich natürlich empfänglich für alle Empfehlungen, den Kindern Osnabrücks irgendwann einmal eine lebenswerte Stadt mit gesunder Stadtkasse zu hinterlassen.

Folgt man allerdings dem Rat der Radikalsparer á la FDP oder auch CDU, dann hieße radikales Sparen ein ganz anderes Osnabrück, als das wir heute kennen:

– Eine Stadt, in der die Schwachen nur noch auf sich selbst angewiesen sind.

– Eine Stadt, in der Schulen, Stadtteilzentren, Sporthallen, Schwimmbäder oder das Theater geschlossen werden.

– Ein Osnabrück, dessen Sportvereine zum Überleben so viel Beitrag verlangen müssten, dass sich das kaum noch eine Familie leisten kann.

Kurzum:

– Ein saniertes Osnabrück wäre irgendwann möglich, aber das so sanierte Osnabrück wäre ein planiertes Osnabrück!

– Eine Schlafstadt ohne all das, was das moderne urbane Leben heute so lebenswert macht.

– Eine Stadt, in der es auch die heutigen Kinder wohl kaum halten wird.

– Ich weiß nicht, was ihr wollt: Aber so eine planierte Schlafstadt will ich nicht, liebe Genossinnen und Genossen!

Was sind jetzt die Zielsetzungen, für die ich mich in Zukunft gemeinsam mit unseren Fraktionsmitgliedern einsetzen will.

Ich habe neulich im Rahmen eines Mediengesprächs versucht, all dies in fünf Themenbereichen aufzuschlüsseln, die ich heute gern wiederhole – für weitere Vorschläge bin ich übrigens sehr empfänglich.

Meine Zielsetzungen in 5 zusammenfassenden Thesen:

Punkt 1: Osnabrück muss die Gratwanderung zwischen sozialer Balance und finanzieller Handlungsfähigkeit bestehen. Beim Haushalt stehen wir für den Osnabrücker Vierklang aus Sparen, Effizienz- und Einnahmeverbesserung sowie Produktkritik – all dies kombiniert mit regionaler Kooperation und verstärkten Bemühungen auf überregionaler Ebene, die Gesetzgeber endlich wieder zu einer kommunalfreundlichen Politik – ich nenne sie umfassende Gemeindefinanzreform – zu bewegen.

Punkt 2: Zu einer gesunden Wirtschaftstruktur inmitten eines starken regionalen Dienstleistungszentrums gehört die erfolgreiche Weiterentwicklung des wirtschaftsfreundlichen Klimas.
Das beinhaltet für uns beides: starke öffentliche Unternehmen wie Stadtwerke und OPG, zugleich auch die maximale Ausschöpfung der Mittel kommunaler Arbeitsmarktpolitik.
Die wiederum ist für uns keine hohle Phrase, sondern harte Arbeit: Für arbeitsplatzschaffende Wirtschaftsförderung, Kooperationsprojekte mit der Agentur für Arbeit, für die Fortführung unseres Zentrums für Jugendberufshilfe an der Dammstraße.
All dies kombinieren wir mit intelligenten Ausweisungen von Gewerbeflächen – sei es im Hafen, seien es ehemalige Kasernenareale wie bei Kaffee Partner, sei es die Umwandlung von ehemaligen Vorratsflächen für das gescheiterte Güterverkehrszentrum zugunsten von modernen Gewerbeflächen. Ganz wichtig ist hier auch der Wissenschaftspark.

Punkt 3 – und in seiner Wichtigkeit nicht minder bedeutend als alle anderen: Nichts macht eine erfolgreiche Sozial- und Familienpolitik mehr aus als Bildung wie auch eine konsequente Bekämpfung der wachsenden Kinderarmut.
Hier müssen wir viele Hebel gleichzeitig in Bewegung setzen: mehr Lese- und Sprachkompetenz von der KiTa bis zu Angeboten der Stadtbibliothek, neue Schulangebote wie die IGS Eversburg, ein neuer Masterplan Kinderarmut, ein praxisnaher Jugendhilfeplan – erstellt durch die neue Stelle eines Jugendhilfeplaners, dessen Stelle wir in der nächsten Ratssitzung vorschlagen werden.

Punkt 4: Gerade in der schwierigsten Haushaltssituation der Nachkriegszeit kommt es darauf an, die Fülle von Engagement, Sachkenntnis und Alltagserfahrungen der Menschen für ein Höchstmaß bürgerschaftlicher Aktivitäten zu nutzen.
Kurzum: Wir brauchen noch bessere Bürgerforen, in denen diskutiert und Neues angeregt wird.
Wir brauchen einen neuen Kulturfond zur Absicherung unserer kulturellen Vielfalt, wir brauchen die Wieder-Einführung von Vertretungen für Kinder- und Jugendinteressen.
Und Bestehendes gehört nicht minder dazu: die Fortführung von Runden Tischen, der Aktivitäten der Bürgerstiftung, ganz wichtig auch eine engere Kooperation mit Sportvereinen und dem Stadtsportbund, der derzeit in vorbildlicher Weise die Limberg-Sportflächen sichert und dem wir dabei helfen wollen.

Letzter Punkt 5, der nicht weniger wichtig ist als die Punkte davor: Die anerkannt gute Wohn- und Lebensqualität in Osnabrück muss durch nachhaltige Schritte weiter gesteigert werden.

Stichwort dazu ist vor allem der neue Masterplan Mobilität. Der wiederum ist ebenfalls keine Worthülse, sondern soll Gutes für die Menschen bewirken – vor allem die Steigerung von Rad- und Busverkehr.

Und ich nenne hier – allen möglichen Irritationen zum Trotz – die Entlastungsstraße West, die wir – sobald geprüft, geplant und finanzierbar, dringend brauchen.

Weitere bedeutsame Schritte sind die schrittweise Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2030, wobei wir unseren Stadtwerken dabei helfen wollen, ihre Schrittmacherfunktion – zum Beispiel in Form ihres durch Repowering-Projekts am Piesberg – umzusetzen.

Nicht weniger bedeutsam sind mir uns eine modellhaft ökologische Fahrzeugflotte, wichtig auch Beratungen und Finanztöpfe zum weiteren Ausbau regenerativer Energien.

Denn wenn wir eines sicher wissen, dann ist dies die Tatsache, dass die Forcierung des Jobmotors „Regenerative Energien“ – z.B. nach Sun-Area- das Sun-Power-Projekt – riesige Zukunftschancen in sich birgt. Auf Deutsch: Uns reicht es als Osnabrücker nicht, hier in der Bundesliga zu spielen, wir wollen in die Champions-League!

Last not least gilt es natürlich eine Chance zu ergreifen, die nicht wenige Städte in Deutschland mit einem solchen Potenzial haben: Es geht darum, die riesigen, von den Briten überlassenen Konversionsflächen in städtebaulicher, sozialer, sportlicher oder kultureller Weise optimal zu nutzen.

Dies alles, liebe Genossinnen und Genossen, hat euch hoffentlich nicht – bildlich gemeint – erschlagen, sondern vor allem motiviert.

– Es gibt eine Menge, auf das wie Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in dieser Stadt stolz sein können.

– Es gibt eine Menge, das wir in dieser Stadt weiter für die Menschen tun können.

– Es gibt eine Menge, das wir deshalb in dieser Stadt gemeinsam anpacken müssen. Fangen wir noch heute damit an!

Herzlichen Dank.