16. Dezember 2021

Mehr Fortschritt wagen! – Plenarrede vom 16. Dezember 2021

Fragestunde des Dezember-Plenums

Videomitschnitt der Rede

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Text der Rede

Es gilt das gesprochene Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Wagt Niedersachsen mehr Fortschritt?“ Oder frei nach Willy Brandt: Mehr Fortschritt wagen! – Die FDP macht den Koalitionsvertrag der Berliner Ampel-Koalition, auch Fortschrittskoalition genannt, zum Gegenstand unserer heutigen Fragestunde. Im Kern geht es also um drei Themen, wie wir gehört haben: erstens das Wahlalter 16, zweitens die Vermögenserfassung und drittens Werkzeuge im Kampf gegen die Kriminalität, hier die sogenannte Vermögensabschöpfung.

Beim Thema Wahlalter 16 – unser Finanzminister hat es richtig dargestellt – gibt es keine Vereinbarung zwischen SPD und CDU. Dort ist nichts geregelt. Die Positionen, Herr Birkner, dürften aber bekannt sein. Die SPD ist für die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre, auch wenn das sicher nicht alle in der SPD teilen, es ist aber Beschlusslage. Und die CDU ist tendenziell eher dagegen. Ich finde, es ist ein völlig normaler Vorgang, dass es auch mal unterschiedliche Auffassungen in einer Koalition gibt. Ich finde, da gibt es nichts zu kritisieren. Das sind eben zwei verschiedene Positionen, mit denen man leben muss.

Spannender sind für mich die Frage der Vermögenserfassung und die Frage, was fiskalisch eigentlich unter einer solchen Vermögenserfassung zu verstehen ist. Der Ampel-Koalitionsvertrag in Berlin definiert das nicht genauer. Eher allgemein wird ausgeführt, dass man mithilfe einer Vermögenserfassung einen besseren Überblick über das öffentliche Vermögen erhalten will, um damit eine bessere Investitions- und Instandhaltungsplanung aufstellen zu können.

Im Grunde geht es um die Kernfrage: Will man in öffentlichen Haushalten wegkommen von der rein kameralen Betrachtung nach Einnahmen und Ausgaben, also der kameralistischen Buchführung, hin zu einem System, das den Werteverzehr, die Abschreibung öffentlicher Anlagegüter – etwa Gebäude und dergleichen – stärker berücksichtigt, oder will man das nicht? Weg von der Kameralistik hin zur Doppik oder noch weitergehend zu den europäischen Rechnungslegungsvorschriften, den European Public Sector Accounting Standards, kurz: EPSAS?

Wer schon länger im Haushaltsausschuss sitzt, der weiß, dass wir uns mit den Fragen der Kameralistik, der Doppik und der EPSAS in der Vergangenheit bereits des Öfteren beschäftigt haben. Zum Thema EPSAS und Doppik gab es am 24. Juni 2015 und zuletzt am 23. Mai 2018 eine Unterrichtung durch das Finanzministerium. Und wir haben am 4. April 2018 anlässlich eines Besuchs beim Landesrechnungshof in Hildesheim diese Fragen ausgiebig erörtert. Dazu muss man wissen: Ein Drittel des Landeshaushalts wird herkömmlich kameral bewirtschaftet, ein weiteres Drittel wird erweitert kameral, also budgetiert im Rahmen einer Kosten- und Leistungsrechnung betrachtet, und das letzte Drittel wird bereits heute doppisch im Rahmen der Bilanzierung der Landesbetriebe nach HGB bewirtschaftet.

Ich stelle daher für SPD-Fraktion fest: Doppik und Kameralistik bieten Vor- und Nachteile. Die Vorteile der Doppik sind beispielsweise die Darstellung des Werteverzehrs im Rahmen der Abschreibung und der Periodenabgrenzung. Und sicher ist auch die Berücksichtigung von Pensionslasten im Rahmen von Passivierung ein interessanter Punkt. Gleichzeitig bedeutet aber genau dieser Punkt einen gravierenden Nachteil. Wir hätten ein hohes Abschreibungspotenzial zulasten des Haushalts und damit auch der Finanzierung von Zukunftsausgaben zu schultern und müssten vor allen Dingen den Rückstellungsaufwand aus Pensionslasten berücksichtigen. All das würde uns Handlungsspielräume nehmen. Gerade der Rückstellungsaufwand steht dann eben nicht mehr für Politikfelder übriger Art zur Verfügung.

Im Übrigen haben sich sowohl das Finanzministerium als auch der Bundes- und der Landesrechnungshof gegen die Einführung der Doppik und der EPSAS gestellt, weil es zurzeit keine verantwortbare Kosten-Nutzen-Relation gibt. Es gibt eine Kostenschätzung der PwC, die davon ausgeht, dass durch die Einführung von EPSAS oder auch der Doppik mit Kosten für ganz Deutschland von etwa 2,4 Milliarden Euro zu rechnen ist. Davon entfallen 70 Millionen Euro allein auf das Land Niedersachsen. Der Bundesrechnungshof geht sogar von 3,1 Milliarden Euro aus.

Diese Größenordnung wird mit der Vermögenserfassung der Ampelkoalitionäre sicherlich nicht gemeint sein. Aber man darf auf die Umsetzung in Berlin, auf den dortigen Erkenntnisgewinn und auf die Kosten einer solchen Erfassung gespannt sein, zumal in Niedersachsen – das hat der Finanzminister völlig richtig dargestellt – diese Vermögenserfassung schon in Teilen durchgeführt wird, etwa beim Landesliegenschaftsfonds oder durch den Beteiligungsbericht.

Der dritte Punkt, den die FDP heute anspricht, ist der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, der Einsatz auch rechtlicher Werkzeuge in der Ausbildung, die Vermögensabschöpfung. Dagegen kann man natürlich nichts sagen, das kann man nur begrüßen. Aber der Finanzminister hat es bereits ausgeführt: In der Ausbildung der Assessoren und der Rechtspfleger des Landes wird das seit Langem unterrichtet. Auch die Frage der Vermögensabschöpfung ist ein Teil der Ausbildung.

Fazit: Nicht nur die Berliner Ampelkoalition ist fortschrittlich. Auch in Niedersachsen sind wir fortschrittlich.

Vielen Dank.