23. April 2020
Rede zu Entschädigungen für Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz
Plenarrede vom 23. April 2020
Videomitschnitt der Rede
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Text der Rede
Es gilt das gesprochene Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Soweit kommt’s noch! Frank Henning, SPD-Fraktion. Aber ihr erkennt mich ja!
Ich glaube, in einem Punkt, lieber Kollege Bode, sind wir uns in der Tat einig – nicht mit Blick auf die Parteizugehörigkeit, aber auf das Thema -: Tourismus, Gastronomie, Hotellerie – diese Wirtschaftszweige sind natürlich in einer besonderen Situation. Wir beide haben erst am letzten Freitag im Wirtschaftsausschuss ziemlich einvernehmlich über die wirtschaftliche Situation gerade der Gastronomie geredet. Ich als bekennender Biertrinker sage sehr deutlich: Ich finde es sehr schade, dass die Außengastronomie jetzt darniederliegt. Aber es kommen hoffentlich auch wieder bessere Zeiten.
Wir haben also gemeinsam darüber diskutiert, wie man dieser Branche helfen kann. Wir sind uns durchaus einig in dem Ziel, diesen geschädigten Betrieben auf die Beine zu helfen. Ich glaube aber, wir streiten mal wieder – wie so oft – über den Weg. Im Wirtschaftsausschuss habe ich deutlich gemacht, dass wir uns als SPD-Fraktion positioniert haben. Wir haben gesagt, dass wir tatsächlich einen Rettungsschirm für die Tourismusbranche brauchen.
Denn die Tourismusbranche ist natürlich ein großer Wirtschaftsfaktor in Niedersachsen. Wir haben da allerdings in erster Linie an einen Rettungsfonds des Bundes gedacht, weil das bundespolitisch ein Phänomen und Problem ist.
In einem Punkt wundere ich mich aber doch, Herr Bode. Gerade die FDP als Partei des Liberalismus und der freien Marktwirtschaft ruft jetzt nach Staatsknete für untergehende Betriebe. Das finde ich sehr bemerkenswert. Der Weg der Landesregierung ist ein bisschen anders. Der Ministerpräsident, den ich dabei ausdrücklich unterstütze, hat heute Morgen in seiner Regierungserklärung gesagt: Der beste Weg, um Unternehmen, insbesondere Gastronomie und Hotellerie, zu helfen, ist natürlich, die Coronakrise zu überwinden und durch vorsichtige Öffnungen irgendwann auch den Unternehmen wieder zu Umsätzen zu verhelfen. Der beste Weg ist, dass sie Geld verdienen und Umsätze erzielen – und nicht die Staatshilfen, die Sie vorschlagen.
Ich habe mich schon ein bisschen gewundert. Die Links-Fraktion ist hier im Hause ja nicht vertreten, aber die hätte genauso beantragen können, 75 % des Umsatzrückgangs sämtlich zu entschädigen. Ich finde, das hat schon was von Vollkaskomentalität, die ich jedenfalls von der FDP so nicht erwartet hätte.
Unser Weg ist ein anderer. Wir sagen: Den Betrieben muss geholfen werden, und zwar durch Zuschüsse, durch Liquiditätsbeihilfen der NBank, durch Kreditprogramme der NBank, aber auch der KfW, wo die Kredite zum Teil zu 100 % verbürgt sind, über zehn Jahre gestreckt werden können, zwei tilgungsfreie Jahre beinhalten. Alle diese Maßnahmen sollen den Unternehmen über die Krise helfen. Und wenn die Krise dann allmählich vorbei ist und die Unternehmen sich wieder am Markt bewegen, sollen sie sich sozusagen selbst am Schopfe packen und aus ihrer wirtschaftlichen Misere herauskommen, und zwar mithilfe der Überbrückungsgelder, die diese Landesregierung in Form von Liquiditätsbeihilfen, Krediten und vor allem Bürgschaften – ich nenne die Erweiterung des Bürgschaftsrahmens, 3 Milliarden Euro – zur Verfügung stellt. Ich halte den Weg, den Sie vorschlagen, nämlich Entschädigungszahlungen zu leisten – um das sehr deutlich zu sagen -, schlicht für nicht finanzierbar.
Um dem Kollegen Toepffer – leider ist er nicht mehr da – beizupflichten: Die Qualität Ihres Gesetzentwurfes hätte mir wirklich graue Haare gemacht – wenn ich nicht schon graue Haare hätte. Ich habe mich gestern den ganzen Abend mit Ihrem Gesetzentwurf beschäftigt und versucht, herauszufinden, was Sie eigentlich wollen. Dem NDR gegenüber haben Sie so populärwissenschaftlich gesagt: 75 % des entgangenen Umsatzes sollen entschädigt werden. Sie sprechen also witzigerweise – das können Sie in Ihrer Pressemitteilung nachlesen; das habe ich auch in einem schönen Video des NDR von Ihnen gesehen – von 75 % des entgangenen Umsatzes.
Wenn ich dann aber in Ihren Gesetzentwurf schaue, lese ich ganz andere Dinge. In § 5 lese ich: 75 % des Schadens. Da stelle ich mir die Frage: Wieso eigentlich 75 %? Das ist relativ willkürlich gegriffen. Aber noch spannender – da nehme ich Sie jetzt auf eine kleine Reise mit – ist § 6. Ich habe bis 00.15 Uhr gebraucht, um zu versuchen, auszurechnen, was Sie da eigentlich wollen. In § 6 Abs. 3 steht: „Der pauschalierte Schaden wird für jeden Kalendermonat berechnet, in dem eine Anordnung im Sinne des § 2 mindestens fünf Kalendertage in Kraft war.“ Das kann ich ja noch verstehen. – In Absatz 4 steht: „Der pauschalierte monatliche Schaden berechnet sich aus den Umsatzerlösen abzüglich der vorsteuerabzugsberechtigten Betriebsausgaben und der Löhne des Basismonats …“ Im nächsten Absatz definieren Sie den Basismonat als „Durchschnitt der Umsätze, Betriebsausgaben und Lohnkosten der letzten drei Monate“. Das heißt auf Deutsch, es ist der operative Gewinn vor Abschreibung und Steuern. Den wollen Sie zu 75 % erstatten – nicht den entgangenen Umsatz.
Dazu kommt der Umsatz gemäß Absatz 3 – das ist der Umsatz, der in den Schließungsmonaten erzielt wird; den würde ich im Augenblick mit 0 Euro ansetzen, weil die Unternehmen ja geschlossen sind – „zuzüglich der vorsteuerabzugsberechtigten Betriebsausgaben und der Löhne des Kalendermonats“ der Schließung. Auf Deutsch: Sie wollen 75 % der Betriebsausgaben und der Lohnaufwendungen der Schließungsmonate plus 75 % des Gewinns erstatten.
Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? Sie wissen es eben nicht! Sie haben selbst in der Gesetzesbegründung unter Punkt C geschrieben, Sie könnten es gar nicht beziffern. Aber gegenüber dem NDR haben Sie gesagt, das würde 1 Milliarde Euro kosten.
Jetzt rechne ich Ihnen das vor: Wenn nur die 20 000 DEHOGA-Betriebe, die überwiegend davon betroffen sind und nach Auskunft der DEHOGA 6,5 Milliarden Euro Jahresumsatz haben, für zwei Monate geschlossen wären, wären das umgerechnet 1,1 Milliarden Euro. Um Ihre Rechnung aufzunehmen – die ich für falsch halte, weil Sie 75 % des Gewinns und der Ausgaben erstatten wollen; aber ich nehme Ihren Ball auf -: Sie wollen 75 % des Umsatzes, also von 1,1 Milliarden Euro erstatten. Das sind nach meiner Rechnung und nach Adam Riese 813 Millionen Euro – nur für die DEHOGA-Betriebe.
Und da kommen Sie mit 1 Milliarde Euro! Damit kommen Sie nie hin. Das reicht im Leben nicht. Deswegen sage ich abschließend: Nicht nur, dass dieser Gesetzentwurf juristisch fragwürdig ist – der Kollege Thiele hat deutlich darauf hingewiesen, dass wir gar keine Gesetzgebungskompetenz haben; das ist auch die Information, die ich bekommen habe, aber ich wollte mich trotzdem inhaltlich mit Ihrem Gesetzentwurf beschäftigen -, Sie wissen auch gar nicht, was Sie wollen. Sie reden von Umsätzen, meinen aber den Gewinn. Sie können nicht beziffern, was das den Staatshaushalt kostet.
Und ich wiederhole: Sie als Partei, die die Bürokratie abbauen will, wollen hiermit ein bürokratisches Monster erschaffen. Die Finanzbeamten, die diesen Umfang bearbeiten könnten, gibt es gar nicht. Wir müssten nämlich, um das wirklich berechnen zu können, die Löhne, die Vorsteuerabzugsberechtigten Betriebsausgaben kennen und das Ganze dann noch zusammenstellen und ermitteln. Ich glaube, deutlich sagen zu können, dass Finanzbeamte in einem solchen Umfang gar nicht vorhanden sind. Es handelt sich also um ein bürokratisches Monster ausgerechnet von der FDP.
Abschließend beantrage ich – Sie haben anhand meiner Ausführungen gemerkt, dass das eigentlich ein Wirtschaftsthema ist -, den Wirtschaftsausschuss federführend mit diesem Thema zu betrauen. Das hätte auch den Vorteil, dass ich im Ausschuss zu dem Thema weitersprechen dürfte. Der Sozialausschuss als „Corona-Ausschuss“ und der Haushaltsausschuss sollten die mitberatenden Ausschüsse sein. Ich glaube, das wäre die richtige Vorgehensweise, Herr Bode. Dann schauen wir, was in Ihrem Gesetzentwurf wirklich steht.
Antwort auf Kurzintervention:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das wird eine spaßige Beratung im Wirtschaftsausschuss.
Herr Bode, ich lese Ihnen noch mal Ihren eigenen Gesetzentwurf vor. Das ist ja das Komplizierte; deswegen habe ich ja so lange gebraucht.
„Der pauschalierte monatliche Schaden berechnet sich aus den Umsatzerlösen abzüglich der vorsteuerabzugsberechtigten Betriebsausgaben“ – Warum übrigens nur die vorsteuerabzugsberechtigten und nicht die anderen auch? Das erschließt sich mir auch nicht.
„und der Löhne des Basismonats abzüglich der Umsatzerlöse des Kalendermonats nach Absatz 3 und zuzüglich der vorsteuerabzugsberechtigten Betriebsausgaben und der Löhne des Kalendermonats nach Absatz 3.“
Wer das jetzt verstanden hat, der hebe die Hand!
Ich kann Ihnen sagen: Das ist kein Umsatz. Das sind 75 % des operativen Gewinns plus 75 % der im Schließungsmonat entstandenen Aufwendungen.
Darüber streiten wir uns im Ausschuss. Interessanter finde ich allerdings die Frage, ob wir überhaupt zuständig sind. Da stimme ich mit Kollegen Thiele und Kollegen Toepffer überein: Wenn es wahr ist, was die Juristen uns sagen, dann muss ich sagen: Das war mal wieder eine Peinlichkeit sondergleichen, den Landtag mit einem Gesetzentwurf zu betrauen, für den wir nicht mal die Gesetzgebungskompetenz haben.
Dabei muss ich sagen: Ich beschäftige mich ja gerne mit Ihren Anträgen, um deren Unzulänglichkeiten aufzuzeigen. Herr Toepffer hat heute Morgen mehrfach belegt, wie qualitätsvoll Ihre Gesetzentwürfe eigentlich sind. Ich finde sie äußerst schwach, zumal Sie darin schreiben, dass Sie nicht einmal selbst sagen können, was der Spaß kostet, während Sie gegenüber dem NDR von 1 Milliarde Euro sprechen. Ich gehe von weitaus höheren Summen aus, wenn Sie sämtliche Betriebe in Höhe von 75 % des Gewinns entschädigen wollen. Das kann es nicht sein. Das können wir uns schlicht nicht leisten.